Freitag, 18. April 2008

Der Freie Geist als Entwicklungsziel des Menschen

Auszüge aus Karl-Martin-Dietz „Produktivität und Empfänglichkeit“ -Heidelberg 2008


>> Man könnte die Kerneigenschaften des freien Geistes so zusammenfassen:


-Originalität statt Traditionsverhalten


-eigene Urteilsfähigkeit statt ideologische Besetztheit oder Beliebigkeit


-Initiative statt Weisungsgebundenheit oder Anpassung


Wenn ich diese Eigenschaften auch beim anderen Menschen voraussetze, entstehen völlig neue soziale Verhältnisse. Sie beruhen auf Freiheit statt Macht, Verständnis, statt gegenseitiger Bewertung und auf Begegnung statt Instrumentalisierung des anderen. ...

In der Praxis ist es nicht besonders schwer, sich selbst zu prüfen, wie weit man sich zur Verwirklichung des freien Geistes aufzuschwingen vermag. Man kann sich zum Beispiel folgende Fragen stellen:

  • Sehe ich in jeder konkreten Tat, die ich tue, einen Sinn für das Ganze ?

  • Trage ich die Verantwortung für das Ganze mit ? Oder dient meine Tätigkeit letztlich nur meiner persönlichen Selbstverwirklichung ?

  • Verwechsle ich Autonomie mit Eigenwilligkeit (Ich darf jetzt etwas tun, ohne andere zu fragen) ? Oder sehe ich Freiheit als Aufgabe und Anforderung an mich selbst zur eigenen Weiterentwicklung ?

  • Mache ich das, was ich mache, ganz ? Oder habe ich ein Jobbewusstsein: beschränkte Tätigkeit, beschränkte Zeit, beschränkter Aufgabenbereich, beschränkte Verantwortung ?


Dazu, etwas „ganz“ zu machen, gehört gewiss auch, es gar nicht zu machen, wenn man es – aus welchen Gründen auch immer – nicht leisten kann. Und es gehört auch dazu, dass ich die Verantwortung für das, was ich tue, vor mir selbst übernehme, nicht vor einer Behörde, vor Vorgesetzten oder einem Kollegium. <<

Dietz, s.o. S.46 ff


Man gibt immer den Verhältnissen die Schuld für das, was man ist. Ich glaube nicht an die Verhältnisse. Diejenigen, die in der Welt vorankommen, gehen hin und suchen sich die Verhältnisse, die sie wollen, und wenn sie sie nicht finden können, schaffen sie sie selbst.

George Bernhard Shaw


Auf dieser Grundlage kann d er Einzelne seine Beiträge für die Gemeinschaft leisten. Ich handle aktiv im sozialen Zusammenhang; gestalte ihn mit, aus mir selbst heraus, d.h. initiativ; ich verantworte mit meinem Handeln nicht nur meine einzelne Tat, sondern auch das Ganze, an dem ich mitwirke. Geistige Produktivität ist somit die zentrale Leistung des Einzelnen für die Gemeinschaft;

S.61



Geistige Produktivität ermöglicht in der Zusammenarbeit ein Handeln aus Geistesgegenwart. Wo sie nicht gepflegt wird, treten Regeln und Programme an ihre Stelle. Regeln bestimmen Anlässe und Verläufe des Handelns im Einzelnen. Man braucht sie aber vor allem dann, wenn einer Gemeinschaft die geistige Zielsetzung abhanden gekommen ist oder wenn den Einzelnen nichts einfällt. Rechtliche Regelung ersetzt dann geistigen Einsatz. Programme sind so etwas wie verdünntes und geronnenes Geistesleben. Sie werden abstrakt gefasst, meist auch ohne Rücksicht auf eine bestimmte Situation. Und wenn sie wasserdicht ausgearbeitet sind, sollen sie angewandt werden. Jeder weiß, dass das nicht wirklich funktioniert - und dennoch ist es die übliche Vorgehensweise. (Dietz S. 63 f)