Dienstag, 2. Juni 2009

Großbritanniens ungeschriebene Verfassung


Es birgt immer etwas Problematisches in sich, wenn Verhaltensregeln, Ordnungen oder ähnliches schriftlich niedergelegt werden. Sie werden dann zu einem starren Korsett, das notwendigerweise in Fällen anzuwenden ist, wo es vielleicht gar nicht passt. Will man etwas schriftlich niederlegen, so müssen die Formulierungen immer in einer gewissen Allgemeinheit gehalten werden, damit sie nicht zum normativen Zwang werden. Auch sollte man mehr der gemeinsamen Gesinnung Ausdruck verleihen, als konkrete Handlungsanweisungen festlegen.


Legt man Wert auf schriftliche Niederlegungen für Gremien oder Gemeinschaften, so sollte man einfach nur beschreiben, was ist und was schon geschieht. Formuliert man etwas, was man theoretisch will oder fordert – was also noch nicht verwirklicht ist - , dann legt man sich eiserne Bandagen an. Wie sich die Dinge in der Zukunft entwickeln, das kann man vorher nicht wissen. Der schöpferische menschliche Geist, wird im lebendigen Lebensprozess immer wieder neue Ideen entwickeln und diese verwirklichen wollen. Durch die vorherige Beschreibung und Festlegung entstehen einheitliche, vergangenheitsorientierte Systeme, die den Individuen ihren schriftlich verfassten Willen aufprägen.


In diesem Zusammenhang ist das Beispiel der britischen, nicht niedergeschriebenen „Verfassung“ interessant. Es folgen Zitate aus einem Interview mit dem ehemaligen Außenminister Sir Malcolm Rifkind in der Zeitschrift BRAND EINS vom 10/08, S.144 ff :

„...Wir haben... ungeschriebene Konventionen – oder nennen Sie es Gepflogenheiten. Dies sind allgemein akzeptierte Regeln, die eingehalten werden, obwohl sie nicht die Form von niedergeschriebenen Gesetzen haben...

....Damit unser System funktioniert, muss es einen Grundkonsens innerhalb der politischen Klasse geben, ein Ziel, über das sich alle einig sind.

....unsere Verfassung ist über Jahrhunderte entstanden. Es war nicht nötig, sie aufzuschreiben. Wir wissen genau, was unsere Verfassung ist: Es sind zahlreiche Regeln, die eingehalten werden müssen.

....Aber dafür ist unsere Verfassung flexibel und veränderbar.... Veränderung ist bei uns einfacher als in anderen Ländern. Und das liegt daran, dass wir kein so festes Korsett haben. ... Wenn es in Großbritannien einen Konsens darüber gibt, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern, dann tun wir das einfach. Auch wenn das lange Debatten mit sich bringen kann. Die müssen dann eben geführt werden. Aber in der Praxis ist das sehr simpel. ...

... Unser Unterhaus könnte an jedem Tag im Jahr das schottische Parlament...überstimmen. Aber in den vergangenen Jahren hat sich eine neue Regel durchgesetzt. Nämlich dass das Unterhaus die Entscheidungen der ... Regionalparlamente respektiert.... Und das ist kein Gesetz, sondern eine Gepflogenheit...

... Es ist Teil unserer Verfassung, dass der Premierminister, wenn er eine Vertrauensabstimmung verliert, zurücktreten muss. Das ist nirgendwo niedergeschrieben. ...

...Wir dürfen keine Regeln festzurren, die sich später nur sehr schwer wieder verändern lassen....

... Seit einigen Jahren ist es eine Gepflogenheit, dass bei grundlegenden Entscheidungen ... ein Referendum nötig ist. Das ist wiederum keine gesetzliche Bedingung, aber es ist ein Instrument, das immer öfter zur Anwendung kommt. ...

Was ist für Sie verfassungswidrig?

Dasselbe, was für Sie verfassungswidrig ist: Dinge, die gegen unsere Gesetze, Regeln und Gepflogenheiten verstoßen. ...