Dienstag, 29. Dezember 2015

Robert Spitzer

ZUM TOD DES PSYCHIATERS ROBERT SPITZER
aus FAZ vom Dienstag, 29.Dez.2015

"Gefühlssystem"

"In einem Interview hat sich der amerikanische Psychiater Robert Spitzer einmal daran erinnert, wie er als zwölfjähriger Junge den Urlaub in einem Sommercamp mit vielen Gleichaltrigen verbrachte. Jeden Abend ritzte er in die Holzbalken neben seinem Bett eine Graphik, in der er das Auf und Ab seiner Gefühle gegenüber verschiedenen Mädchen aus dem Camp festhielt. In seinem späteren beruflichen Schaffen habe er einen Bereich gewählt, in dem es um genau dasselbe ging: Um die Übertragung von Gefühlen in eine Art von System...."

Gefühle in eine Graphik bringen. Sie quantifizieren, gar messbar machen, das ist der Traum des modernen Seelenwissenschaftlers.
Welcher lebendige, beseelte, wirklich mit dem Herzen empfindende Mensch würde je auf eine solche Idee kommen? Welcher gesund empfindende Mensch könnte mit so etwas überhaupt etwas anfangen?
Schon mit zwölf Jahren beginnt er damit! D.h. dieses Anliegen hat er mitgebracht. Er ist vorbereitet, der Menschheit ein solches systemartiges Schema einzupflanzen.

Wir sehen die Technik derer am Werk, die die Entwicklung der Menschheit in das Mechanische vorantreiben wollen.

ÜBER DAS REISEN - Ralph Waldo Emerson - "Essays" (im 19.Jahrhundert)

"Es ist gleichfalls nur Mangel an Selbstbildung, dass der Aberglaube des Reisens, dessen Götzen Italien, England, Ägypten sind, seinen Zauber für alle wohlerzogenen Amerikaner behält. Diejenigen, welche England, Italien oder Griechenland so anziehend und ehrfurchtgebietend für unsere Phantasie machten, bewirkten dies dadurch, dass sie fest an ihrer Scholle klebten, als wäre sie die Achse der Erde. In männlichen Stunden fühlen wir, dass die Pflicht unseren Platz bestimmt. Der Geist ist kein Reisender; der weise Mann bleibt daheim – und wenn das Bedürfnis oder die Pflicht ihn hinausruft und ihn auf die Straße oder in die Fremde führt – er ist dennoch zu Hause, und am Ausdruck seines Antlitzes fühlen die Menschen, dass er als ein Missionär der Sittlichkeit und Weisheit dahinzieht und Städte und Menschen wie ein Souverän, nicht wie ein Bedienter oder Schleichhändler besucht. Ich bin kein pedantischer Gegner der Reisen um die Welt, wenn sie aus Liebe zur Kunst, aus Wissbegier, aus Menschenfreundlichkeit unternommen werden, wenn der Mensch nur erst eine Heimat hat und nicht in der Hoffnung auszieht, Größeres zu finden als er zu Hause gekannt. Wer um sich zu zerstreuen reist, oder um etwas zu finden, was er nicht mitbringt, der flieht vor sich selbst und wird unter den Trümmern des Alten in seiner Jugend alt. In Theben, in Palmyra werden sein Geist und Herz alt und zerfallen wie diese, und er trägt Ruinen zu Ruinen. Reisen ist das Paradies der Narren. Unsere ersten Ausflüge lehren uns, wie gleichgültig die Orte sind. Zu Hause träum' ich, dass in Rom oder Neapel mich die Schönheit berauschen und meine Verstimmung enden wird. Ich packe meine Koffer, nehme von meinen Freunden Abschied und schiffe mich ein – und erwache in Neapel, und an meinem Bette sitzt ernsthaft und wirklich – dasselbe traurige, unnachsichtliche Selbst, vor dem ich geflohen. Ich besuche den Vatikan und die Paläste, ich tue, als wäre ich von Ansichten und Ideen berauscht, aber ich bin nicht berauscht. Mein Riese geht mit mir, wohin ich auch gehe. Aber die Reisewut ist nur ein Symptom einer tieferen Ungesundheit, die unser ganzes geistiges Leben ergriffen hat. Unser Intellekt ist unstet, unser ganzes Erziehungssystem erzeugt Unruhe. Unser Geist ist selbst dann auf Reisen, wenn der Leib daheim bleiben muss.

Montag, 28. Dezember 2015

POLEN

Von unserem westlichen oder mitteleuropäischen Standpunkt aus betrachtet ist es natürlich nicht akzeptabel, was in Polen gerade passiert.

Wenn man allerdings die Sache aus polnischer Sicht betrachtet, dann kann man auch Verständnis entwickeln. Die wechselvolle spezifische Geschichte in diesem Land hat die Volksseele wund gemacht.

Wir können kaum ermessen, wie schwer es für die Menschen dort ist, diesen mächtigen, vielleicht sogar unberechenbaren Nachbarn zu haben. Wenn sich dieser Bär nur einmal im Schlafe herumwälzt, dann kann er leicht einen seiner kleinen Nachbarn erdrücken.

Die Flüchtlingssituation zu bewältigen ist für einen solchen "jungen" Staat viel schwerer als für ein gefestiges, wirtschaftlich prosperierendes Staatsgefüge.

Das alles macht den Leuten Angst. Und Angst verführt bei allen Menschen und Gruppen zu Aktionen und Reaktionen, die gewöhnlich unangemessen erscheinen können.
Wenn man nur sieht, wie sich manche Leute hier ihre Grundtücke absichern, aus Angst. Dann kann man verstehen, dass auch Regierungen etwas ähnliches tun.

Und wie schnell und leicht die öffentliche Meinung umschwenkt, das kann man wöchentlich selbst in unserem Land beobachten. Wobei die Menschen auch hier immer nur den Meinungsmachern folgen. Es sind nie ihre eigenen persönlichen Überzeugungen, sondern es ist alles ein Nachplappern.

Meinungsumfragen sind so ziemlich das Überflüssigste und Unwahrhaftigste, was es gibt, man kann die Ergebnisse immer schon vorher wissen.
Sie sind ein Machtinstrument.