Sonntag, 30. Mai 2010

MALER UND INFORMATIKER

David Gelernter

David Gelernter wird als einer der berühmtesten Computerwissenschaftler unserer Zeit betrachtet. Er habe wesentlich zur Entwicklung des WWW beigetragen. In der FAZ vom 29.Mai 2010 wird ein Interview mit ihm veröffentlicht. Dieses gibt viel tiefere Einblicke in die Wirklichkeit von Technik und Wissenschaft als alle gelehrten Bücher darüber.

Es wird von ihm bestätigt, dass der wirklich innovative Wissenschaftler Künstler sein muss. Er selber sei an erster Stelle Maler, nur an zweiter sei er Techniker. Wissenschaft muss mit der Welt in einer Beziehung stehen. Die Welt ist nicht wissenschaftlich-technisch organisiert, sondern nach Schönheit und Ästhetik. Jede Pflanze, jedes Tier ist in sich ein vollkommenes Geschöpf, welches in voller Harmonie aller seiner Teile gestaltet ist. Diese Harmonie empfinden wir als Schönheit.

Nun einige Auszüge aus dem Interview:

Ja, ich bin Maler geworden

Der Meister der Softwareentwicklung ist selbst ein Künstler: Warum es für David Gelernter keinen Unterschied zwischen Malerei und Computerwissenschaft gibt.

NEW HAVEN, 28. Mai

Erst kam die Malerei, dann der Computer. In seinen eigenen Worten hört es sich noch dramatischer an: "Ich habe gemalt, bevor ich schreiben konnte. Die Malerei ist meine erste Sprache. Sie ist mir zweite Natur. Ich habe immer in Bildern und Farben gedacht."

„Ein erfolgreicher Technologe muss die gleichen ästhetischen Fähigkeiten besitzen wie ein erfolgreicher Künstler. Das war für mich eine interessante Überraschung." Heute weiß er längst, dass Kunst und Computer mehr verbindet als unterscheidet. "Ich bin wirklich nur in der Lage, eine einzige Sache zu tun, und ich tue das immer auf dieselbe Weise. Ich denke in Bildern und über Bilder nach. Auch wenn es um Computer und Software geht."

Gelernter strebt danach, ohne Rücksicht auf konkrete Ingenieurprobleme Software auf einem Niveau zu entwickeln, das ästhetischen Maßstäben standhält. Er will sie menschlich, geistig formen. Aber auch einen Imperativ des Talmuds hat er dabei im Sinn. Er zitiert aus dem Kopf: "Die Tora zu studieren in praktischer Beschäftigung mit der Welt ist voller Schönheit." Er denkt also an Schönheit, wenn er Software entwickelt? Wie einen Blitz lässt er die Antwort einschlagen: "Yes!"

Schönheit führt zur Wahrheit

Alle ernsthaften Ingenieure, Physiker, Mathematiker, so versichert er, ließen sich von Schönheit leiten. "Schönheit bestimmt ihr Tun, sie ist der überwältigende Impuls ihres Lebens." Ergibt sich aus ihr automatisch dann das Nützliche? Wieder holt Gelernter weit aus: "So wie das Universum funktioniert, führt Schönheit zur Wahrheit, aber nicht unbedingt zur utilitaristischen. Doch dem Mathematiker, der an einem Beweis arbeitet, dem Physiker, der nach einer Welttheorie sucht, dem Softwaredesigner, der aus komplizierter Software eine einfache und elegante Version herstellen will, weist Schönheit den richtigen Weg."... (Jordan Meijas)