Dienstag, 4. Mai 2010

"Ich weiß, wo das Heil liegt"

Noch immer lese ich mit großem Interesse in dem Buch von Henry Miller, "Der Koloss von Maroussi". Der folgende Auszug über Epidauros ist im rororo tb auf Seite 63f zu finden:

"In Epidauros, in der Stille. In dem tiefen Frieden, der über mich kam, hörte ich das Herz der Welt schlagen. Ich weiß, wo das Heil liegt: entsagen muss man, verzichten muss man, sich aufopfern, auf dass unsere kleinen Herzen im Gleichklang mit dem großen Herzen der Welt schlagen. ...

Während ich in dem seltsam lautlosen Amphitheater saß, dachte ich an die lange und gewundene Fahrt, auf der ich schließlich zu diesem heilsamen Mittelpunkt des Friedens gelangte. Niemand hätte eine verworrenere Reise wählen können als ich. Über dreißig Jahre bin ich umhergeirrt wie in einem Labyrinth. Ich hatte jede Freude, jede Verzweiflung gekostet, aber ich hatte nie gewusst, was Friede ist. Alle meine Feinde, einen um den anderen, habe ich unterwegs besiegt, aber den größten Feind von allen hatte ich nicht einmal erkannt- mich selbst.

...Nichts gab es mehr zu erobern: ein Ozean des Friedens lag vor mir. Frei sein – wie ich jetzt erkannte, dass ich es bin -, heißt erkennen, dass jede Eroberung nichtig ist, sogar die Eroberung des eigenen Ich, der letzte Akt der Selbstüberhebung. Um freudvoll zu sein muss man das Ich zum höchsten Gipfel tragen und es dort triumphierend niederlegen. Den Frieden erkennen, ist alles; erst dann, wenn der Verzicht vollendet ist, verschwindet sogar das Bewusstsein von Verzicht. Im Mittelpunkt ist der Friede, und wenn er erlangt ist, ertönt die Stimme lobpreisend und danksagend. Und dass trägt die Stimme weit und fern, bis zu den äußersten Grenzen des Weltalls, dann heilt sie, denn sie bringt Licht und glühendes Mitleid.

Epidauros ist nur ein Symbol, die wahre Stätte liegt im Herzen, im Herzen eines jeden Menschen, er braucht nur haltzumachen und danach zu suchen. Jede Entdeckung ist geheimnisvoll, da sie enthüllt, was so überraschend unmittelbar ist, so nahe, und so lange und genauestens schon bekannt. Der Weise braucht nicht weiter zu wandern, nur der Narr sucht den Goldschatz am Ende des Regenbogens. Doch beiden ist vom Schicksal beschieden, einander zu begegnen und sich zu vereinen. Sie treffen sich im Herzen der Welt, wo Beginn und Ende des Weges ist. Sie treffen sich in der Erkenntnis und verschmelzen in der Transzendenz ihrer Rollen."