Freitag, 13. März 2009

Ein Autist berichtet

Im folgenden Artikel kann man sich ein wenig in die Welt eines Autisten hineinleben. Hier fehlt tendenziell eine der wichtigsten Ich-Funktionen des Menschen: Die Kontaktaufnahme zum Mitmenschen. Es ist ein ganz einzigartiges Leben in der eigenen Hülle, in der eigenen Welt.

Dann fehlt teilweise auch eine weitere Funktion, die mit der Ich-Entwicklung zusammenhängt, das Vergessen. Etwas vergessen können und dann sich bemühen müssen, es aus dem Gedächtnis heraus neu zu schaffen stärkt die menschliche Individualität. Ein sehr stark ausgeprägtes Gedächtnis kann wie eine Fessel wirken. Man bleibt am realen Erinnerungsbild kleben und schafft so schwerer den Schritt zur intellektuellen Abstraktion.

Dafür bewahrt der Autist Fähigkeiten, die man bei jüngeren Kindern beobachten kann: ein fantasievolles Welterleben und überhaupt eine Intensität der Welterfahrung, wie man sie sich nur bei Säuglingen vorstellen kann. Der Sinneseindruck kann zum Schmerz werden. Hinzukommen fast geistige, spirituelle Möglichkeiten, die sonst mit der Entwicklung des jungen Menschen gewöhnlich verloren gehen.

Der Autist trägt also eine Art geistiger Innen-Welt mit sich herum, die er bewahrt und nicht umwandeln kann, in der er aber auch gefangen bleibt.


Wie der Autist Axel Brauns ein Filmemacher wurde

„Drollig“ fand er die Welt der Schule. Allerdings auch voller Fettnäpfchen, in die man tapsen kann, wenn man etwas sagt, was man für passend hält und
dann von allen angestarrt wird, weil man etwas Unverständliches von sich gegeben hat. Etwa: „Unter der Tür hindurch schlich sich das Licht in die Besenkammer und leistete mir Gesellschaft. Ich bückte mich und wischelte mit der Hand am Spalt entlang. Meine Fingerspitzen streuten Schatten in die Helligkeit. Dieses Versteck war dreigut.“



Er geht zur Uni, schreibt sich für Jura ein. Auch nicht schwer, sagt er. Viele Autisten haben einen Endlosspeicher im Kopf, eine gigantische Festplatte. Das klingt aus Axels Mund dann so: „Als ich 15 war, an einem verregneten Montag im Oktober 1978, es war nachmittags, 20 Minuten nach vier Uhr, da hat meine Mutter eine Tasse Pfefferminztee getrunken, stand rechts neben
dem Küchenfenster und hat mir Folgendes gesagt …“
Früher hat Axel das Hamburger Telefonbuch gelesen. Voller Begeisterung. Von vorne bis hinten, von Aalhaus bis Zacharias. Immer wieder. Mit 21 Jahren brach er das Studium ab. Die innere Unruhe war gewachsen, er
wollte lieber schreiben. Tagelang, nächtelang, monatelang. „Vier Stunden Schlaf reichen doch“, sagt Axel in seinem mächtigen Sessel. Er winkt lässig ab. Bücher will er schreiben – und damit er finanziell klarkommt, falls das schiefgeht, macht er eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten. Aber es klappt mit dem Bücherschreiben. Gleich das erste, „Buntschatten & Fledermäuse“, die Geschichte seiner Kindheit und Jugend, wurde ein Bestseller. Buntschatten, so nannte er die lieben Menschen, Fledermäuse die bösen. Das Mädchen, das ihm im Sandkasten ein Förmchen brachte, war ein Buntschatten. Der Junge, der es ihm wegnahm, eine Fledermaus.


Für das Cover wählte er einen bunten Papagei in verschneiter Winterlandschaft. „Das gibt Axels Lebensgefühl wieder“, sagt er. „Axel warm
und bunt, alles um ihn herum weiß und kalt.“ Dass das Buch erschien, verdankt er seinem Bruder. Der sagte ihm eines Tages: „Es reicht nicht, dass du weißt, dass du gut schreibst. Die anderen müssen das auch wissen!“ Axel verstand nicht. Die anderen? Welche anderen?
Auf seine blumige Schreibe, seine ungewöhnliche Wortwahl, sein Sprachgold“, wie Axel seine besten Sätze liebevoll nennt. Das Buch erschien,



Der Mann aus einer anderen Welt Der Autist Axel Brauns hat einen weiten Weg hinter sich. Er schaffte den Ausbruch aus der Krankheit – und wurde Schriftsteller und Filmemacher. Ein Besuch Der Schriftsteller und Filmemacher Axel Brauns: „Weißt du, ich habe oft nur Unverständnis geerntet für das, was ich tue oder eben nicht tue. Axel war bei klarem Verstand, aber die ganze Welt hielt ihn für dumm!“ kann ich doch nicht hin, dachte Axel. Da sind andere Menschen. Und dann meine Texte vorlesen, die keiner kapiert? Wie peinlich. Und überhaupt: Das kostet 200 Mark. Viel zu teuer. Doch sein Bruder meldete ihn an. Axel musste hin.
„Ich war geknickt und schwer wie Blei, hab mich da regelrecht hinzwingen müssen. Ich hab mich verschämt zu den anderen zwölf jungen Autoren gesetzt. Aber dann, es war im Januar 1999, passierte es. Der Kick! Das Erlebnis, das den Schalter umlegte, das das Leben des Autisten Axel Brauns veränderte.“ Er fährt sich unruhig mit der Hand über die hohe Stirn, nimmt
einen Schluck aus der Wasserflasche. Eine Dozentin im Writer’s Room war
Alissa Walser, Tochter des Schriftstellers Martin Walser, eine Malerin, Buch- und Theaterautorin. „Diese Alissa Walser las meinen Text, sagte: ‚Beeindruckend, da steckt Potenzial drin. Aber du solltest es noch mal bearbeiten, verfeinern, es auch Freunde lesen und beurteilen lassen. Das hilft.‘ Erst dachte ich: Was meint die? Freunde? Welche Freunde? Ich war sauer, weil ich keine hatte.“

Was sich änderte. Mit einer dieser Hobbyautoren, einer Lehrerin, verstand Axel sich gut, traf sich mit ihr, diskutierte Texte. „Im Sommer 1999 ging ich einmal nach Hause und hätte hüpfen können vor Freude. Ich war unter Menschen! Ich hatte Gleichgesinnte gefunden!“ Die Öffnung des Autisten Axel Brauns begann. Und er trieb sie voller Neugier und Tatendrang voran. ...

Quelle:
http://www.welt.de/kultur/

Siehe auch folgenden Artikel: Wie sieht Ihr Kopf von innen aus, Mister Tammet?