Freitag, 20. März 2009

Die Welträthsel von Ernst Haeckel

Im derzeitigen Darwin-Jahr lohnt es sich einmal bei Haeckel nachzulesen. Man wird erstaunt und beeindruckt sein, wie dieser Forscher mit seinem eigenen Gedankenleben versuchte in das Bewusstsein und die leibliche Organisation von Mensch und Tier einzutauchen:

Aus

Die Welträthsel von Ernst Haeckel, 1899

"Neurologische Theorie des Bewußtseins: Dieses kommt nur dem Menschen und jenen höheren Thieren zu, welche ein centralisiertes Nerven-System und Sinnesorgane besitzen. Die Ueberzeugung, daß ein großer Theil der Thiere - zum mindesten die höheren Säugethiere - ebenso eine denkende Seele und also auch Bewußtsein besitzt, wie der Mensch, beherrscht die Kreise der modernen Zoologie, der exakten Physiologie und der monistischen Psychologie. Die großartigen Fortschritte der Neuzeit in mehreren Gebieten der Biologie haben uns übereinstimmend zu der Anerkennung dieser bedeutungsvollen Erkenntniß geführt. Wir beschränken uns bei ihrer Würdigung zunächst auf die höheren Wirbelthiere und vor Allem auf die Säugethiere. Daß die intelligentesten Vertreter dieser höchst entwickelten Vertebraten - Allen voran die Affen und Hunde - in ihrer gesammten Seelenthätigkeit sich dem Menschen höchst ähnlich verhalten, ist seit Jahrtausenden bekannt und bewundert. Ihre Vorstellungs- und Sinnes-Thätigkeit, ihr Empfinden und Begehren ist dem menschlichen so ähnlich, daß wir keine Beweise dafür anzuführen brauchen. Aber auch die höhere Associons-Thätigkeit ihres Gehirns, die Bildung von Urtheilen und deren Verbindung zu Schlüssen, das Denken und das Bewußtsein im engeren Sinne, sind bei ihnen ähnlich entwickelt wie beim Menschen - nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden. Ueberdies lehrt uns die vergleichende Anatomie und Histologie, daß die verwickelte Zusammensetzung des Gehirns (sowohl die feinere als die gröbere Struktur) bei diesen höheren Säugethieren im Wesentlichen dieselbe wie beim Menschen ist. Dasselbe zeigt uns die vergleichende Ontogenie bezüglich der Entstehung dieser Seelen-Organe. Die vergleichende Physiologie lehrt, daß die verschiedenen Zustände des Bewußtseins sich bei diesem höchstentwickelten Placentalthieren ganz ähnlich wie beim Menschen verhalten, und das Experiment beweist, daß sie auch auf äußere Eingriffe ebenso reagiren. Man kann höhere Thiere durch Alkohol, Chloroform, Aether u. s. w. ebenso betäuben, durch geeignete Behandlung ebenso hypnotisiren u s. w. wie den Menschen. Dagegen ist es nicht möglich, die Grenze scharf zu bestimmen, wo auf den niederen Stufen des Thierlebens das Bewußtsein zuerst als solches erkennbar wird. Die einen Zoologen setzen dieselbe sehr hoch oben an, die anderen sehr tief unten. Darwin, der die verschiedenen Abstufungen des Bewußtseins, der Intelligenz und des Gemüths bei den höheren Thieren sehr genau unterscheidet und durch zunehmende Entwickelung erklärt, weist zugleich darauf hin, wie schwer oder eigentlich wie unmöglich es ist, die ersten Anfänge diese höchsten Seelenthätigkeiten bei den niederen Thieren zu bestimmen. Nach meiner persönlichen Auffassung dünkt mir unter den verschiedenen widersprechenden Theorien am wahrscheinlichsten die Annahme, daß das Zustandekommen des Bewußtseins an die Centralisation des Nervensystems gebunden ist, die den niederen Thierklassen noch fehlt. Die Anwesenheit eines nervösen Centralorgans, hoch entwickelte Sinnesorgane und eine weit ausgebildete Associon der Vorstellungs-Gruppen scheinen mir erforderlich, um das einheitliche Bewußtsein zu ermöglichen."


Hier weiterlesen