Sonntag, 25. Mai 2008

Eckermann - Gespräche mit Goethe, 13.2.1831

Eckermann - Gespräche mit Goethe, 13.2.1831

"Johann Peter Eckermann - Gespräche mit Goethe (22)
(Über verschiedene Aspekte der Evangelien)

SONNTAG DEN 13. FEBRUAR 1831.

Bei Goethe zu Tisch. Er erzählt mir, dass er im vierten Akt des Faust fortfahre, und dass ihm jetzt der Anfang so gelungen wie er es gewünscht. [...]

Das Gespräch lenkte sich auf das Neue Testament, indem ich erzählte, dass ich die Stelle nachgelesen wo Christus auf dem Meere wandelt und Petrus ihm entgegengeht. Wenn man die Evangelisten lange nicht gelesen, sagte ich, so erstaunt man immer wieder über die sittliche Großheit der Figuren. Man findet in den hohen Anforderungen an unsere moralische Willenskraft auch eine Art von kategorischem Imperativ. »Besonders, sagte Goethe, finden Sie den kategorischen Imperativ des Glaubens, welches sodann Mahomet noch weitergetrieben hat.« Übrigens, sagte ich, sind die Evangelisten, wenn man sie näher ansieht, voller Abweichungen und Widersprüche, und die Bücher müssen wunderliche Schicksale gehabt haben, ehe sie so beisammengebracht sind, wie wir sie nun haben. »Es ist ein Meer auszutrinken, sagte Goethe, wenn man sich in eine historische und kritische Untersuchung dieserhalb einlässt. Man tut immer besser, sich ohne weiteres an das zu halten, was wirklich da ist, und sich davon anzueignen, was man für seine sittliche Kultur und Stärkung gebrauchen kann. [...]«"