Donnerstag, 1. Januar 2009

Tagebuch-Aufzeichnungen von Imre Makovecz Tagebuch

"Der Wert eines Lebens wird nicht durch ein anderes Leben bestätigt. Das Leben ist überhaupt nicht zu bestätigen. Die Größe eines Volkes lässt sich nicht an der Größe eines anderen Volkes messen. Man sollte Völker nicht antasten. Ein Volk kann nicht festgelegt werden, weder als groß noch als klein, als Sieger oder Verlierer, noch als verstümmelt oder überlebensgroß. Ein Volk ist nicht da, um beurteilt zu werden, ein Volk lebt. Auch die lebende Architektur wird nicht durch andere Architektur bestätigt, die lebende Architektur lebt. Was ich mache, ist lebende Architektur. Ich nehme zur Kenntnis, dass meine Häuser zerstückelt, in Brand gesteckt und abgerissen werden, ich baue dennoch neue Häuser. Ich nehme zur Kenntnis, dass man mit gezinkten Karten mit mir spielt, dass ich verleumdet und in einem Atemzuge Söldner fremder Herren und Nationalist genannt werde, dass man mich auszeichnet, aber gleichzeitig erniedrigt, dass man mich ruft und gleich danach wegschickt. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass dieses Land uns und Fremden gleichermaßen gehört. Man hat schon oft versucht zu nehmen, was uns gehört. Man müsste einsehen, dass der Mensch selbst nicht zu nehmen ist, denn erfindet dafür einen letzten Fluchtweg: den Tod. Der Geist des ungarischen Volkes aber ist lebendig und sucht, auch in der Architektur, nach einem gesunden, kräftigen und freien Ausdruck."

(Oktober 1987)

Seite 209