Montag, 21. Dezember 2009

Übel ergeht's dem, der die Wahrheit sagt: Daniel Kehlmann

Aus einem Interview mit der Zeitschrift "Cicero":

"...Ihre Kritik am Regietheater hat sowohl für Zustimmung als auch für heftige Kritik gesorgt. Schon vor dieser Rede sagten Sie des Öfteren: „Sehr vieles, was ich auf deutschen Theaterbühnen sehe, finde ich flach und dumm.“ Was stört Sie am sogenannten Regietheater?

Im Grunde ging es darum, dass an deutschen Theatern eine bestimmte Inszenierungsästhetik Monopolstellung genießt und Beobachter, die sich dagegen äußern, in einer ungeheuerlichen Weise angegriffen werden. Diese Monopolästhetik beansprucht für sich, recht zu haben, weil sie so modern sei und alles andere altmodisch und auch gesellschaftlich reaktionär. Dagegen habe ich mich gewendet. Die Wahrheit eines Textes durch rekonstruktive Maßnahmen wie Kostüme zutage treten zu lassen, ist alles andere als altmodisch und schon gar nicht rückständig. In diesem Sinne habe ich für Offenheit plädiert. Die Reaktionen waren so hilflos hysterisch, dass ich mich dadurch in meiner These bestätigt fühlen muss.

Schon vor einem Jahr haben Sie mit einer Rede über Brecht polarisiert. Dabei hatten Sie lediglich in Erinnerung gerufen, man könne von Glück reden, „dass die Welt nicht so geworden ist, wie Bertolt Brecht sie sich gewünscht hat, denn die seine würde keine freien Wahlen kennen, keine Meinungsfreiheit, keine Freiheit, dorthin zu gehen, wohin man will“. Daraufhin hagelte es Widerspruch. Sind Sie verwundert über die nach wie vor einflussreichen Linken im Kulturbetrieb?
Nein, das hatte ich schon erwartet. In beiden Fällen habe ich mich aber keineswegs gegen linke Politik oder gegen linkes Kulturverständnis wenden wollen. Ich habe eine Haltung kritisiert, die sich als links deklariert, aber nur noch Phrasen und Schemata reproduziert. Das Regietheater hat mit linker Einstellung gar nichts zu tun. Klassisch gesehen würde linke Ästhetik bedeuten, Theater zu machen, das die Massen verstehen. Es ist doch inkonsequent, sich als links zu definieren und gleichzeitig ein Theater zu verlangen, das die Massen ablehnen. Im Fall von Brecht habe ich mich dagegen gewehrt, ihn zu einer Popfigur, zu einer Art Che-Guevara-Poster zu machen. Man muss Brecht ernst nehmen und sich darüber im Klaren sein, wo er sich furchtbar geirrt hat. ..."
Quelle und vollständiges Interview: http://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=4480