Es gab Zeiten, wo es durchaus seine Berechtigung hatte, dass man die Zugehörigkeit zu einem Volk gewissermaßen als höchste Instanz betrachtete und dem alles unterordnete. Mit dem Heraufkommen der Neuzeit entwickelte sich jedoch gerade im naturwissenschaftlichen Bereich eine neue Denkart. Diese Denkart hat nichts mehr zu tun mit einem speziellen Volkscharakter, sie ist international, menschheitlich. Die Schwierigkeiten treten nach Rudolf Steiner nun dadurch auf, dass die Menschen in ihrem Gefühlsleben mit der rasanten Entwicklung des modernen Gedankenlebens nicht mitkommen:
„Dieser Gang der Entwicklung drückt sich ja insbesonders im alleräußersten materiellen Geschehen aus : im mechanischen Geschehen…Denn ob eine Eisenbahn oder eine ähnliche Einrichtung in England, in Russland, in China oder in Japan gebaut wird, die Gesetze nach denen dies geschieht, die Kenntnisse, die man dazu braucht, sind überall dieselben…so dass in der Tat auf diesem Gebiete ein internationales Prinzip in allerumfänglichster Weise Platz gegriffen hat…
Weil der materielle Fortschritt gewissermaßen vorausgeeilt ist dem guten Willen zur geistigen Erkenntnis, so ist dem Menschen dieser materielle Fortschritt, und namentlich alles, was aus diesem Fortschritt an Leidenschaften, an Impulsen in den Seelen sich ergibt, über den Kopf gewachsen....
Dass im 19.Jahrhundert innerhalb der miteinander lebenden Nationalitäten der Nationalismus solche Blüten treiben konnte, wie er sie getrieben hat, das ist die starke, große Anomalie, und sie zeigt, dass die Menschen mit ihrer Seelenentwicklung der materiellen Entwickelung nicht nachgekommen sind.“
Rudolf Steiner, Kosmische und menschliche Geschichte (GA 174)- 6.1.1917