Samstag, 25. Oktober 2008

Geld - Ware -Arbeit

Aus der Tatsache, dass Geld nur ein Gegenwert für Waren sein kann, geht dann logisch auch hervor, dass man menschliche Arbeit nicht mit Geld bezahlen kann. In seiner Arbeit lebt der Mensch mit seiner ganzen Wesenheit. Für Arbeit bezahlt zu werden, ist wie ein Verkaufen der eigenen Seele. Unbewusst oder heute auch oft schon bewusst leiden viele Menschen unter dieser Tatsache, da sie sich in ihrer Menschenwürde verletzt fühlen. Es wird sicher eine Zeit kommen, wo man dieses Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit ähnlichen Gefühlen betrachten wird, wie sie sich einstellen, wenn man heute auf die Sklaverei sieht:

„... Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform hat sich diese Arbeit dem sozialen Organismus so eingegliedert, dass sie durch den Arbeitgeber wie eine Ware dem Arbeitnehmer abgekauft wird. Ein Tausch wird eingegangen zwischen Geld (als Repräsentant der Waren) und Arbeit. Aber ein solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er scheint sich nur zu vollziehen. In Wirklichkeit nimmt der Arbeitgeber von dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können, wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt. Aus dem Gegenwert dieser Waren erhält der Arbeiter einen Anteil, der Arbeitgeber den andern. Die Produktion der Waren erfolgt durch das Zusammenwirken des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Das Produkt des gemeinsamen Wirkens geht erst in den Kreislauf des Wirtschaftslebens über. Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer notwendig. Dieses kann aber durch die kapitalistische Wirtschaftsart in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche ワbermacht des Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist. Im gesunden sozialen Organismus muss zutage treten, dass die Arbeit nicht bezahlt werden kann. Denn diese kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert erhalten. Einen solchen hat erst die durch Arbeit hervorgebrachte Ware im Vergleich mit andern Waren. Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht. ...“

Aus: Rudolf Steiner, Kernpunkte der sozialen Frage, S.77 f

Da Geld ein Gegenwert für Ware ist, so muss es sich auch mit der Ware verändern. Die Ware wird alt, verbraucht sich, wird weniger wert. Das Gleiche muss auch mit dem Geld geschehen:

"Just dasjenige, was Geld ist, das ist etwas, was merkwürdigerweise im volkswirtschaftlichen Leben, trotzdem es ganz in Äquivalenz steht mit den anderen volkswirtschaftlichen Elementen, sich nicht abnutzt. Radikal können Sie sich das dadurch vorstellen, dass Sie sich zum Beispiel denken: Ich habe für, sagen wir, fünfhundert Franken Kartoffeln. Wenn ich für diese fünfhundert Franken Kartoffeln habe, so muss ich dafür sorgen, dass ich sie losbringe, das heißt ich muss etwas tun, dass ich sie losbringe. Und nach einiger Zeit sind sie eben nicht mehr da. sind sie verbraucht, sind sie weg. Wenn das Geld in Äquivalenz steht mit den Gütern, mit den bearbeiteten Gütern, so müsste es sich abnützen. Das Geld müsste, genauso wie die anderen Güter, sich abnützen. Das heißt, wenn wir nicht abnutzbares Geld im volkswirtschaftlichen Körper drinnen haben, dann verschaffen wir unter Umständen dem Geld einen Vorteil gegenüber den abnützbaren Güter.Das ist außerordentlich wichtig. Und es wird erst ganz wichtig, wenn man folgendes bedenkt: Wenn man bedenkt, was ich anwenden muss, wenn ich, sagen wir, nach fünfzehn Jahren durch meine ganze Betätigung so weit gekommen sein soll, dass ich dadurch, dass ich heute eine Menge Kartoffeln habe, dann die doppelte Menge Kartoffeln habe, von den Kartoffeln, die es dann geben wird; und wenn man nun bedenkt, wie wenig jemand als einzelne Persönlichkeit zu tun braucht, wenn er heute in Geld fünfhundert Franken hat, um das Doppelte zu haben in fünfzehn Jahren! Es genügt, wenn er gar nichts tut, wenn er seine gesamte Arbeitskraft dem sozialen Organismus entzieht und die anderen arbeiten lässt, dass er beleiht und die anderen arbeiten lässt. Wenn er mittlerweile nicht selber für den Verbrauch sorgt: das Geld hat es nicht nötig, sich abzunutzen. Dadurch wird aber sehr viel von dem, was dann empfunden wird als eine soziale, sagen wir Unrichtigkeit, erst in den sozialen Körper hineingebracht."

Aus: Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs, GA 340 ,Seite 164 f


Freitag, 24. Oktober 2008

Die ersten Kraniche ziehen

Ein mild sonniger Oktobertag. Strahlend steht nördlich der Sonne eine Nebensonne. Da hört man Kranichrufe. Am Südhimmel schwingt sich eine lange Keil-Linie durch die Lüfte. Die Rufe der Vögel dringen einem wie Musik oder Gesang in die Seele.

Da kommt die Nachbarin: Die machen aber einen Lärm!

In dem Moment beginnt sich die bewegte Linie aufzulösen. Chaotisch wirbeln die Vögel durcheinander. Ziehen statt Südwest wieder zurück. Finden sich neu und formen wider ihr himmlisches Zeichen, weiter in die Spätnachmittags-Sonne.

Die Erhabenheit dieses Naturereignisses kann die Menschenseele tief ergreifen.

Finanzwirtschaft

Im Rahmen des Nationalökonomischen Kurses weist Rudolf Steiner am 1.August 1922 auf den Grundzug des modernen Geldwesens hin:

(Unterstreichungen D.C.)


„Die Blütezeit, ich möchte sagen, das klassische Zeitalter des Leihkapitals trat eigentlich erst im 19.Jahrhundert, und zwar erst eigentlich gegen das zweite Drittel des 19.Jahrhunderts ein. Und damit ist dann zu verzeichnen in der geschichtlichen Entwickelung das Heraufkommen derjenigen Institutionen, die namentlich dem Beleihen dienen, das Heraufkommen des Bankwesens. So dass das klassische Zeitalter des Leihkapitals und damit die Entfaltung des Bankwesens in die letzten zwei Drittel des 19.Jahrhunderts und in die ersten Jahrzehnte des 20.Jahrhunderts fällt. Mit der Entwickelung des Bankwesens entwickelt sich immer mehr und mehr die Beleihung als dasjenige, was, ich möchte sagen, nun als ein erster Faktor eintritt in den volkswirtschaftlichen Prozess. Aber dabei hat sich zu gleicher Zeit etwas ganz Besonderes gezeigt, gerade beim Beleihen, nämlich das, dass nun durch das Beleihen im großen Stil unter der Ausbreitung des Bankwesens dem Menschen die Herrschaft über die Geldzirkulation eigentlich entzogen worden ist, dass nach und nach der Zirkulationsprozess des Geldes ein solcher geworden ist, der sich ja, ich finde keinen andern Ausdruck , der sich unpersönlich abspielt; so dass, was ich schon erwähnt habe im ersten Vortrag, tatsächlich die Zeit heraufgezogen ist, wo das Geld nun selber wirtschaftet, und der Mensch bald droben, bald drunten ist, je nachdem er in diesen ganzen Strom der Geldwirtschaft hineingezogen wird. Er wird es nämlich viel mehr, als er es eigentlich denkt; denn es hat sich die Geldzirkulation gerade im Laufe der letzten Jahrzehnte des 19.Jahrhunderts verobjektiviert, ist unpersönlich geworden. ... Da fangen diese volkswirtschaftlichen Impulse an, rein finanzwirtschaftliche Impulse zu werden durch das Bankwesen. Damit wird das Ganze nicht nur unpersönlich, sondern sogar unnatürlich; es wird alles in die sich selbst bewegende Geldströmung hineingezogen. Geldwirtschaft ohne natürliches und persönliches Subjekt, das ist dasjenige, wo hintendiert hat gegen das Ende des 19.Jahrhunderts das, was ursprünglich durchaus vom persönlichen und vom natürlichen Subjekt getragen war.“

Aus Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs, GA 340 , S. 137 f

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Neurobiologie : Ein Gespräch mit dem Hirnforscher Wolf Singer |

Bei diesem Veröffentlichungssystem im Internet muss man eigentlich die Beiträge immer rückwärts lesen. Also dieser Beitrag folgt auf den Beitrag, den man weiter unten findet und schließt sich an diesen an. Im konkreten Fall ist die Geschichte von Manfred Kyber "Nachruhm" gemeint. Dort wird von einem Forscher erzählt. Anschließend kann man dieses Interview mit einem der bedeutendsten Wissenschaftler der Welt lesen und seine Verbindungslinien ziehen. Hier finden Sie deutlich noch das Mäntelchen einer abstrakt gewordenen christlich, bürgerlichen Ethik angezogen. Manchmal blitzt dann die wahre Denkart unter diesem Mätelchen hervor:
Bei Mönchen kann das "Jesus-Syndrom" auftreten, das ist eine Krankheit... doch lesen Sie selbst:


Neurobiologie : Ein Gespräch mit dem Hirnforscher Wolf Singer |
"ZEIT ONLINE"


Ein Gespräch mit dem Hirnforscher Wolf Singer über Erfahrungen bei der Meditation und die Neurobiologie des Religiösen


DIE ZEIT: Professor Singer, Sie haben mit dem buddhistischen Mönch Matthieu Ricard einen Dialog über Hirnforschung und Meditation publiziert. Neuerdings meditieren Sie auch selbst. Wird der Hirnforscher Singer zum Esoteriker?
Wolf Singer: Nein (lacht). Mein Interesse an der Meditation hat zwei Gründe: Zum einen war ich einfach neugierig; zum anderen hatte ich vor einigen Jahren eine Phase, in der ich beruflich enorm belastet war und viel zu viel am Hals hatte. Da entstand der dringende Wunsch nach einer Auszeit. Also habe ich mich zu einer zehntägigen Zen-Übungsperiode angemeldet, einem »Sesshin« – ohne zu wissen, worauf ich mich einließ. Tatsächlich waren diese zehn Tage ein hartes Regime: Schweigen, keinerlei äußere Reize, stundenlanges Sitzen vor der Wand, konzentriert auf die Haltung, die Atmung, den gegenwärtigen Moment. Aber es war eindrucksvoll.
ZEIT: »Sesshin« heißt wörtlich »vertraut werden mit dem eigenen Geist«. Was hat diese Erfahrung bei Ihnen bewirkt?
Singer: Ich hatte es hier am Institut niemand erzählt. Aber Mitarbeiter haben mich später bei der Weihnachtsfeier gefragt, wo ich denn den Sommer verbracht hätte. Ich sei so anders gewesen, so ruhig. Ich habe auch selbst bemerkt, dass nach dem Sesshin manches anders war. Plötzlich fuhr ich auf der rechten Spur der Autobahn, brauchte kein Radio und war eigentlich ganz glücklich mit mir. Und im Institut habe ich versucht, dieses pathologische Tasksharing, bei dem man fünf Dinge gleichzeitig tut, zu durchbrechen. Das hat aber nicht lange angehalten.
ZEIT: Was passiert während der Meditation neurobiologisch im Gehirn?

Singer: Bislang gibt es leider wenig aussagekräftige Studien darüber. Aber es ist klar, dass man in der Meditation einen mentalen Zustand erreicht, der sich von demjenigen im Alltag deutlich unterscheidet. Bei mir hat sich zum Beispiel einmal die sogenannte okulare Rivalität verändert, der Wechselrhythmus zwischen beiden Augen. Normalerweise läuft der im Sekundentakt, mal schaut man mit dem einen, mal mit dem anderen Auge, ohne dass einem dies bewusst wäre. Doch in der Meditation veränderte sich mein Gesichtsfeld, plötzlich fehlte die eine Blickrichtung, dann die andere. Der Wechselrhythmus hatte sich so extrem verlangsamt, dass ich ihn wahrnehmen konnte.
ZEIT: Was hat der Neuroforscher Singer aus den Erfahrungen des Meditierenden Singer über das Gehirn gelernt?
Singer: Man kann viel darüber lernen, wie das Gesamtsystem im Grundzustand arbeitet. Man erlebt, was passiert, wenn einen nichts zwingt zu reagieren, sondern wenn sich einfach entfalten kann, was in diesem System alles steckt. In diesem Default-Zustand stellt sich ein Gefühl des »In-der-Welt-Seins« ein. Diese Erfahrung entspricht mit Sicherheit getreuer der Persönlichkeit, die man ist, als das, was man erlebt, wenn man ständig von Tagesereignissen getrieben wird.
ZEIT: Haben Sie sich auch schon früher für religiöse Praktiken interessiert?
Singer: Ich habe mal eine Zeit bei den Eremitenmönchen auf dem Berg Athos zugebracht. In der Fastenzeit vor Ostern haben sich die Mönche alle zwei Stunden aufwecken lassen und gemeinsam gesungen, was mit starker Hyperventilation einherging. Schließlich berichteten sie, dass sie ein großes Licht sahen, Stimmen hörten und in Kontakt kamen mit der Welt der Gottheit. Solche Halluzinationen sind das Ergebnis von Schlafentzug und Hyperventilation. Auch das Jesus-Syndrom kann dann auftreten.
ZEIT: Das Jesus-Syndrom?
Singer: Es ist ein Krankheitsbild, bei dem im temporalen Bereich des Gehirns Epilepsien auftreten. Das führt nicht zu großen Anfällen, sie sind von außen kaum zu sehen, aber man bemerkt sie, wenn man die Hirnströme misst. Die Patienten berichten dabei häufig von einem wunderbaren Gefühl, das sich in ihnen ausbreite: Plötzlich stimme alles mit allem überein. Sie beschreiben dieses Gefühl so, wie Religionsstifter die Erleuchtung beschreiben. Der Hirnforscher aber weiß: Da krampft ein Stück Gehirn, das normalerweise als eine Art innerer Zensor fungiert. Es überprüft, ob Hirnzustände kohärent sind. Wenn sich dieses Areal selbstständig macht, entsteht eben genau dieses versöhnliche Gefühl.
ZEIT: Heißt das: Jedes Erleben eines solchen Einsseins, der Versöhnung, ist krankhaft?
Singer: Nein, überhaupt nicht. Man kann ja denselben Zustand auch ganz real herstellen, indem man zum Beispiel Konflikte wirklich beseitigt. Und das, vermute ich, kann man durch solche mentalen Praktiken durchaus fördern.
ZEIT: Wie vertragen sich Ihre Meditationserlebnisse mit Ihrer eigenen christlichen Religion?
Singer: Für mich hat diese Art der Meditation überhaupt keine religiöse Konnotation. Ich weiß, dass man sie benutzen kann, um Erfahrungen zu machen, die man gern einer metaphysischen Dimension zuschreibt. Meister Eckhart hat ja als christlicher Mystiker einst Praktiken zur Erfassung des Transzendentalen vorgeschlagen, die der buddhistischen Meditation ganz nahe sind.
Zeit: Sind Sie Christ, Buddhist oder Atheist?
Singer: Ich bin zwar tatsächlich in manchen intuitiven Auffassungen, etwa darüber, wie die Welt strukturiert ist, gewissen Interpretationen des Buddhismus nahe. Allerdings würde ich mich nicht als Buddhist bezeichnen. Denn ich bin natürlich als integriertes Mitglied dieser abendländischen Gesellschaft massiv geprägt von christlichen Glaubens- und Wertevorstellungen.
ZEIT: Glauben Sie an einen persönlichen Gott?
Singer: Als Naturwissenschaftler kann ich die konkreten Ausformungen dieses Glaubenssystems oft nicht nachvollziehen. Zwar halte ich es für möglich, dass ich etwa durch das Beten eine Selffulfilling Prophecy in Gang setze und mich in einen Zustand bringe, in dem ich das Gewünschte tatsächlich irgendwann erreiche. Aber ich habe erhebliche Schwierigkeiten mit dem Gedanken, dass eine wie auch immer geartete, für mich unsichtbare Gottheit alles durchdringt, das Geschehen auf der Erde steuert und sich auch noch um mich persönlich kümmert.
ZEIT: Also sind Sie Atheist?
Singer: Nein, auch nicht. Denn ich weiß natürlich, dass es jenseits des Begreifbaren noch Dimensionen gibt, für die ich keinen Namen habe.
ZEIT: Für einen nüchternen Kopf wie Sie muss es doch irritierend sein, dass sich bis heute religiöse Glaubensüberzeugungen halten, die dem wissenschaftlichen Denken zutiefst zuwiderlaufen. Wie erklären Sie sich das?
Singer: Wir haben unsere Religionssysteme alle erfunden. Dafür sprechen schon die kulturspezifischen Ausprägungen. Wir sind aufgrund des Soseins unseres Gehirns darauf festgelegt, Ursachen für Phänomene zu suchen. Und da es viele Wirkungen in der Welt gibt, deren Ursachen wir nicht ergründen können, liegt es nahe, sie einem höheren Wesen zuzuschreiben. Das erlaubt eine weitere hochwirksame Projektion: Denn nun kann man Verhaltensweisen, die sich in der Erfahrung als sinnvoll herausgestellt haben (nicht zu töten, zu lügen, zu stehlen), als Verordnung dieser höheren Instanz deklarieren. Dadurch entzieht man sie der menschlichen Verfügbarkeit – und das ist ein sehr effizientes Mittel, um Gruppen auf einen gleichen Kodex einzuschwören. Das hat sich offenbar im Laufe der kulturellen Evolution enorm bewährt.
ZEIT: Die religiösen Gebote sind für Sie so etwas wie kollektive Erfahrung?
Singer: Ja, und zwar über die Generationen hinweg. Das christliche Gebot zum Beispiel, die andere Wange hinzuhalten: Das Individuum mag von solchen Verhaltensweisen nicht profitieren; doch die Gesellschaft tut es im Laufe ihrer Geschichte sehr wohl. Das kann durchaus nach dem darwinistischen Prinzip geschehen sein. Mag sein, dass gerade die Gruppen überlebten, die altruistische Verhaltensnormen so kodiert haben. Denn eine religiöse Begründung ist eine schnelle methodische Abkürzung. Darüber muss man nicht lange diskutieren, das wird so gemacht, weil es in der Bibel steht. Natürlich hat dieses Prinzip auch seine Schattenseiten. Was im Namen der Religion alles an Schrecklichem geschah – das wird dann genauso wenig hinterfragt.
ZEIT: Kann man sich eine aufgeklärte Religion vorstellen, ohne Intoleranz und Fanatismus?
Singer: Die Frage ist, ob man moralische Werte nicht auch anders verankern kann als religiös. Ich würde denken ja. Unsere Rechtssysteme tun das ja schon. Man müsste, glaube ich, auch bereit sein, zuzugeben, dass man nicht durch schieres Nachdenken jede Lebenssituation im moralischen Sinne entscheiden kann. Und sicher spielt das Wort Demut eine große Rolle. Vielleicht kann man durch mentale Praktiken wie die Meditation Menschen dazu bringen, Einsichten zu gewinnen, die es ihnen erlauben, über den schnöden rationalen Egoismus hinauszusehen.
ZEIT: In der Meditation geht es für Sie also nicht um verzückte Erleuchtung, sondern eher darum, sich selbst so zu sehen, wie man wirklich ist?
Singer: Viel zu viele Leute tun nur so, als sei in ihrem Leben alles in Ordnung. Auf diese Weise ernährt sich ein System, das jenem gleicht, das die Hochglanzpostillen verbreiten. Würde man seine Fehler öfter offenlegen, käme vielleicht mehr Demut in die Welt und mehr Verständnis; auch mehr Toleranz und Dialogbereitschaft. Es ist ja wahnsinnig anstrengend, diese Potemkinschen Dörfer aufrecht zu erhalten.
ZEIT: Deshalb haben auch Religionsstifter immer wieder die Heuchelei ihrer Zeit angeprangert. Doch oft sind aus diesen Impulsen ihrerseits religiöse Systeme entstanden, die einen gewaltigen sozialen Druck aufbauten.
Singer: Rückhaltlos ehrlich zu sein, mit sich selbst und den anderen, ist eben schwer. Ich vermute, diese Mechanismen, von denen Sie sprechen, sind zutiefst menschlich. Ein ideales System, mit dem man allen Schwierigkeiten aus dem Weg geht, gibt es nicht.
ZEIT: Ist vielleicht auch das eine tiefe religiöse Erkenntnis: zu merken, dass es den idealen Pfad zum Heil nicht gibt?
Singer: Ja. Und dennoch nicht zu resignieren – das ist das Kunststück.
Das Gespräch führte Ulrich Schnabel. Zudem ist es Teil des Buches "Die Vermessung des Glaubens" (s.u.)

Zur Person:

Wolf Singer
Wolf Singer, 65, ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands und Mitglied der päpstlichen Akademie der Wissenschaften. Vergangenes Wochenende sollte Singer in Berlin mit dem Dalai Lama diskutieren – doch der musste krankheitsbedingt absagen.Als Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung will Singer einen aufgeklärten Humanismus fördern. Obwohl der Forscher Religiosität mithilfe der Evolutions- und Neurobiologie erklärt und die Willensfreiheit anzweifelt, hält er religiöse Riten für nützlich.

"Nachruhm" Eine Geschichte von Manfred Kyber

Nachruhm (gekürzt)

Die Totenfeier am Sarge des berühmten Anatomen und Leiters des Physiologischen Instituts der alten Universität gestaltete sich zu einer ergreifenden Huldigung der akademischen Kreise vor den Verdiensten des großen Verstorbenen. Der Katafalk war mit Kränzen und seidenen Schleifen behängt, in Lorbeer und Blumen gehüllt, brennende Wachskerzen umrahmten ihn, und vor ihm waren auf samtenen Kissen die zahlreichen Orden ausgebreitet, die der gelehrte Forscher mit berechtigtem Stolz getragen hatte. Zu beiden Seiten der Bahre standen die Chargierten der Korporationen mit blanken Schlägern, und neben den Angehörigen saßen der Senat der Universität in vollem Ornat, sämtliche Professoren der Hochschule und die Vertreter der Behörden. Der Priester hatte soeben seine Rede beendet, die allen tief zu Herzen gegangen war.

»Er war ein vorbildlicher Mensch und ein vorbildlicher Gelehrter«, schloss er, »er war das eine, weil er das andere war, denn ein großer Forscher sein, heißt ein großer Mensch sein. Wir stehen an der Bahre eines ganz Großen, mit Trübsal in der Seele, weil er uns genommen ist. Aber mitnichten sollen wir trauern und wehklagen; denn dieser große Tote ist nicht tot, er lebt weiter und steht nun vor Gottes Thron im vollen Glanze seines ganzen arbeitsreichen Lebens, wie es denn in der Schrift heißt: sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach!«

Alle schwiegen ergriffen, und es fiel auch niemand auf, dass der Priester anscheinend eine Kleinigkeit vergessen hatte, nämlich die, dass der große Tote, der nun vor Gottes Thron stehen sollte, sein ganzes Leben lang für die Überzeugung eingetreten war, dass es gar keinen Gott gäbe. Aber solche Kleinigkeiten werden bei Grabreden meistens vergessen.

Hierauf erhob sich der Rektor der Universität mit der goldenen Amtskette um den Hals und sprach mit bewegter Stimme warme Worte des Nachrufs für seinen berühmten Kollegen.

»Er war allezeit eine Zierde unserer alten alma mater und eine Zierde der Wissenschaft, der er sein ganzes Dasein geweiht hatte, ein Vorbild uns und allen, die nach uns kommen werden, denn auf ewig wird sein Name in goldenen Lettern auf den Marmortafeln der menschlichen Kultur glänzen. Ich kann in diesem ernsten und feierlichen Augenblick nur weniges aus der Überfülle seines Geistes herausgreifen, nur andeuten, wie er unermüdlich an unzähligen Tierversuchen Beweis auf Beweis gehäuft. Es ist nicht auszudenken, welche unerhörten Perspektiven sich mit diesen völlig neuen medizinischen Tatsachen der leidenden Menschheit und der Wissenschaft als solcher eröffnen. Nur nacheifern können wir dem gewaltigen Forscher, der uns solche Wege gewiesen, und wir und die ihn bewundernde akademische Jugend, der er ein Führer zu wahrem Menschentum war, wir wollen an seiner Asche geloben, sein Lebenswerk fortzusetzen und auszubauen, zum Heile der europäischen Wissenschaft und zur Ehre unseres geliebten Vaterlandes. Es hat unserem großen Toten nicht an reicher Anerkennung gefehlt, wie wir dankbar feststellen können, auch von allerhöchster Stelle sind ihm ehrenvolle Zeichen der Huld zuteil geworden« - alle Blicke richteten sich staunend auf das Samtkissen mit den Orden, die einige Pfund wogen - , »ja, noch kurz vor seinem Tode ward ihm die Freude, zum Wirklichen Geheimen Medizinalrat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt zu werden, eine Ehrung, die mit ihm auch unsere ganze Hochschule als solche empfunden hat. ...

Der Vertreter des Staates erklärte, dass der Verstorbene eine Säule des modernen Staatswesens gewesen sei, und der Vertreter der Stadt sagte, dass der Magistrat einstimmig beschlossen habe, einer Straße den Namen des großen Toten zu verleihen. Der Kirchenchor sang ein Lied, es war ein altes Lied aus einer alten Zeit. Andere Menschen mit anderer Gesinnung hatten dies alte Lied geschaffen, und es nahm sich seltsam aus nach den tönenden Worten von heute. Sehr leise und überirdisch sang es wie mit fremden Stimmen durch den Raum: »Wie wird's sein, wie wird's sein, wenn wir ziehn in Salem ein, in der Stadt der goldenen Gassen...«

Dann sank der Sarg in die Tiefe.

Der Tote hatte die ganze Zeit dabeigestanden. Ihm war, als habe sich eigentlich nicht viel geändert. Er erinnerte sich nur, einen sehr lichten Glanz gesehen zu haben, dann war alles wieder wie sonst, und er wusste kaum, dass er gestorben war. Nur leichter war alles an ihm, keine Schwere mehr und keine grobe Stofflichkeit. Ein großes Erstaunen fasste ihn - es gab also doch ein Fortleben nach dem Tode, die alte Wissenschaft hatte recht, und die neue hatte unrecht. Aber es war schöner so, und es beruhigte ihn sehr, obwohl es anfangs etwas quälendes hatte, dass er mit niemand mehr sprechen konnte, dass keiner seiner Angehörigen und seiner Kollegen merkte, wie nahe er ihnen war. Immerhin war es tröstlich, zu hören, wie man ihn feierte und dass man so zuversichtlich von Gottes Thron und von der Asphodeloswiese gesprochen hatte. Freilich - die Titel und Orden fehlten ihm, sie erschienen nicht mehr greifbar. Aber war er nicht immer noch der große Gelehrte, der berühmte Forscher? Hieß es nicht: und ihre Werke folgen ihnen nach? ...

Er war nun allein, die Umrisse des Raumes wurden dunkel und verschwammen ins Raumlose. Es war sehr still, nur ganz ferne verklang das alte Lied, kaum noch hörbar: Wenn wir ziehn in Salem ein - in die Stadt der goldnen Gassen...

Das würde nun erfolgen, vielleicht gleich. Eine große Spannung erfüllte ihn; aber in dieser Spannung war etwas von Angst, etwas Unsagbares, eine große bange Frage, die ihn ganz ausfüllte. Es war auch so dunkel geworden, man konnte nichts mehr sehen.

Dann wurde es hell, und ein Engel stand vor ihm. Also auch das gab es. Dann würde es ja auch einen Gott geben und die vielen Toten, die lebendig waren, und das geistige Jerusalem. Wie schön war das alles! Aber der Engel sah ernst und sehr traurig aus.

»Wohin willst du?« fragte er.

»Ins Paradies.«

»Komm!« sagte der Engel.

Große dunkle Tore öffneten sich lautlos, und sie traten in einen Raum, der grell erleuchtet war. Die Wände waren blutrot, und auf dem Boden hockten unzählige verstümmelte Tiere und wimmerten. Sie streckten die zerschnittenen Glieder nach dem Toten aus und sahen ihn aus geblendeten und erloschenen Augen an. Immer weiter, ins Unabsehbare, dehnte sich ihre Reihe.

»Hier sind die Hündinnen, denen du bei lebendigem Leibe die Jungen herausgeschnitten hast. Hattest du keine Kinder, die du liebtest? Wenn deine Kinder sterben, und sie suchen den Vater im Paradies, so werden sie dich hier finden. Es ist das Paradies, das du dir geschaffen hast. Hier sind die Katzen, denen du das Gehör zerstört hast unter grässlichen Martern. Gott gab ihnen ein so feines Gehör, dass es ein Wunder der Schöpfung ist. Du wirst nichts mehr hören als das. ...«

»Das ist entsetzlich«, sagte der Tote.

»Das ist es«, sagte der Engel.

»Leben denn alle diese Tiere weiter?« fragte der Tote.

»Alle diese Tiere leben bei Gott«, sagte der Engel, »du kannst nicht dorthin, denn sie stehen davor und klagen dich an, sie lassen dich nicht durch. Was du hier siehst, sind ihre einstigen Spiegelbilder, es sind deine Werke, und sie bleiben bei dir. Du wirst alle ihre Qualen an dir erfahren, bis du wieder zur Erde geboren wirst, um zu sühnen. Es ist ein langer und trauriger Weg. Aber sie werden nicht deine einzigen Gefährten sein. Du hast noch einen anderen, sie her, wer vor dir steht inmitten all deiner Werke!«

Der Tote sah auf und erblickte ein scheußliches Gespenst mit einer menschlichen Fratze, in einem Gewand voll Schmutz und Blut mit einem Messer in der Hand.

»Das ist das Scheußlichste, was ich jemals sah«, sagte der Tote, und es packte ihn ein Grauen, wie er es noch nie erlebte. »Wer ist dieses Scheusal? Muss ich das immer ansehen?«

»Das bist du«, sagte der Engel.

»Aber die Wissenschaft?« fragte der Tote angstvoll, »habe ich ihr nicht gedient? Gehöre ich nicht zu den großen Geistern, auch wenn ich diese Taten beging?«

»Die großen Geister waren den Tieren Brüder und nicht Henker«, sagte der Engel, »sie würden dir den Rücken kehren, wenn du es wagen könntest, zu ihnen hinaufzugelangen. Aber du gelangst gar nicht in ihre Nähe. Du warst eine Null und kein großer Geist. Du wusstest es auch, dass du eine Null warst, du wusstest, dass dir nichts einfallen würde, und darum hast du aus Eitelkeit all diese Greuel begangen, in der Hoffnung, der Zufall könnte dir etwas von den Geheimnissen der Natur enträtseln, wenn du sie folterst. Nachher kam die Mordlust, die Herrscherwut kleiner Seelen dazu. Siehst du das alles? Du kannst es deutlich sehen an deinem Spiegelbild, es hat getreulich all deine Züge aufgezeichnet. Bleibe bei ihm, wasche sein blutiges und schmutziges Kleid, bis es weiß wird wie Schnee! Es kann tausend Jahre dauern, vielleicht auch länger. Bleibe bei ihm, denn du kannst ihm nicht entrinnen. Er ist dein Gefährte, und diese verstümmelten Geschöpfe Gottes sind dein Paradies!«

»Das alles ist wahr«, sagte der Tote, »aber auch wenn ich so dachte und tat, habe ich nicht doch eine Erkenntnis gefördert? Tritt nicht doch die Wissenschaft für mich ein?«

»Eine Erkenntnis durch Verbrechen?« fragte der Engel. »Erkenntnisse hatte die Wissenschaft einst, als sie ein Tempel war. Ich will dir zeigen, wie eure Wissenschaft heute aussieht.«

Ein hässliches gelbes Licht zuckte auf, und der Tote sah einen Narren sitzen, der mit blutigen Händen Kartenhäuser baute. Ein Luftstoß fegte sie um, aber der Narr baute immer weiter.

»Ist das alles?« fragte der Tote und klammerte sich hilfesuchend an das Gewand des Engels.

»Das ist alles«, sagte der Engel, »lehrt eure Wissenschaft nicht auch, dass es keinen Gott und keine Vergeltung und kein Leben nach dem Tode gibt? Ich muss nun gehen. Bleibe in deinem Paradies!«

Der Tote blieb in seinem Paradiese und hatte es vor Augen Stunde um Stunde, Tag für Tag und Jahr für Jahr. Es ist dies mit einer Zeit nicht mehr zu messen, jedenfalls nicht wissenschaftlich, und das ist doch das einzig maßgebliche, nicht wahr? Aus sehr weiter Ferne klang ein altes Lied aus einer alten Zeit, kaum noch hörbar und verhallend: Wie wird's, wie wird's sein, wenn wir ziehn in Salem ein, in die Stadt der goldenen Gassen...

Vielleicht bedeutet dieses Lied noch etwas, denn wir müssen ja alle einmal sterben? Aber wer denkt heute daran, im Zeitalter der aufgeklärten europäischen Wissenschaft?

Die Zeitungen brachten spaltenlange Nachrufe über den berühmten großen Forscher und Gelehrten, seine Exzellenz den Wirklichen Geheimen Medizinalrat, dessen Tod einen unersetzlichen Verlust für die Wissenschaft bedeute, dessen Name aber für alle Zeiten ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Menschheit bleiben würde, ein herrliches Zeichen unserer fortschrittlichen Kultur und ein Denkmal allen kommenden Geschlechtern, wie es die Besten vor ihm waren. Ehre diesen großen Toten!

Ja sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach.

Aus: "Das Manfred Kyber Buch"



Mittwoch, 22. Oktober 2008

Geld - Ware -Arbeit

Aus der Tatsache, dass Geld nur ein Gegenwert für Waren sein kann, geht dann logisch auch hervor, dass man menschliche Arbeit nicht mit Geld bezahlen kann. In seiner Arbeit lebt der Mensch mit seiner ganzen Wesenheit. Für Arbeit bezahlt zu werden, ist wie ein Verkaufen der eigenen Seele. Unbewusst oder heute auch oft schon bewusst leiden viele Menschen unter dieser Tatsache, da sie sich in ihrer Menschenwürde verletzt fühlen. Es wird sicher eine Zeit kommen, wo man dieses Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit ähnlichen Gefühlen betrachten wird, wie sie sich einstellen, wenn man heute auf die Sklaverei sieht:

„... Innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsform hat sich diese Arbeit dem sozialen Organismus so eingegliedert, dass sie durch den Arbeitgeber wie eine Ware dem Arbeitnehmer abgekauft wird. Ein Tausch wird eingegangen zwischen Geld (als Repräsentant der Waren) und Arbeit. Aber ein solcher Tausch kann sich in Wirklichkeit gar nicht vollziehen. Er scheint sich nur zu vollziehen. In Wirklichkeit nimmt der Arbeitgeber von dem Arbeiter Waren entgegen, die nur entstehen können, wenn der Arbeiter seine Arbeitskraft für die Entstehung hingibt. Aus dem Gegenwert dieser Waren erhält der Arbeiter einen Anteil, der Arbeitgeber den andern. Die Produktion der Waren erfolgt durch das Zusammenwirken des Arbeitgebers und Arbeitnehmers. Das Produkt des gemeinsamen Wirkens geht erst in den Kreislauf des Wirtschaftslebens über. Zur Herstellung des Produktes ist ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeiter und Unternehmer notwendig. Dieses kann aber durch die kapitalistische Wirtschaftsart in ein solches verwandelt werden, welches durch die wirtschaftliche ワbermacht des Arbeitgebers über den Arbeiter bedingt ist. Im gesunden sozialen Organismus muss zutage treten, dass die Arbeit nicht bezahlt werden kann. Denn diese kann nicht im Vergleich mit einer Ware einen wirtschaftlichen Wert erhalten. Einen solchen hat erst die durch Arbeit hervorgebrachte Ware im Vergleich mit andern Waren. Die Art, wie, und das Maß, in dem ein Mensch für den Bestand des sozialen Organismus zu arbeiten hat, müssen aus seiner Fähigkeit heraus und aus den Bedingungen eines menschenwürdigen Daseins geregelt werden. Das kann nur geschehen, wenn diese Regelung von dem politischen Staate aus in Unabhängigkeit von den Verwaltungen des Wirtschaftslebens geschieht. ...“

Aus: Rudolf Steiner, Kernpunkte der sozialen Frage, S.77 f

Da Geld ein Gegenwert für Ware ist, so muss es sich auch mit der Ware verändern. Die Ware wird alt, verbraucht sich, wird weniger wert. Das Gleiche muss auch mit dem Geld geschehen:

"Just dasjenige, was Geld ist, das ist etwas, was merkwürdigerweise im volkswirtschaftlichen Leben, trotzdem es ganz in Äquivalenz steht mit den anderen volkswirtschaftlichen Elementen, sich nicht abnutzt. Radikal können Sie sich das dadurch vorstellen, dass Sie sich zum Beispiel denken: Ich habe für, sagen wir, fünfhundert Franken Kartoffeln. Wenn ich für diese fünfhundert Franken Kartoffeln habe, so muss ich dafür sorgen, dass ich sie losbringe, das heißt ich muss etwas tun, dass ich sie losbringe. Und nach einiger Zeit sind sie eben nicht mehr da. sind sie verbraucht, sind sie weg. Wenn das Geld in Äquivalenz steht mit den Gütern, mit den bearbeiteten Gütern, so müsste es sich abnützen. Das Geld müsste, genauso wie die anderen Güter, sich abnützen. Das heißt, wenn wir nicht abnutzbares Geld im volkswirtschaftlichen Körper drinnen haben, dann verschaffen wir unter Umständen dem Geld einen Vorteil gegenüber den abnützbaren Güter.Das ist außerordentlich wichtig. Und es wird erst ganz wichtig, wenn man folgendes bedenkt: Wenn man bedenkt, was ich anwenden muss, wenn ich, sagen wir, nach fünfzehn Jahren durch meine ganze Betätigung so weit gekommen sein soll, dass ich dadurch, dass ich heute eine Menge Kartoffeln habe, dann die doppelte Menge Kartoffeln habe, von den Kartoffeln, die es dann geben wird; und wenn man nun bedenkt, wie wenig jemand als einzelne Persönlichkeit zu tun braucht, wenn er heute in Geld fünfhundert Franken hat, um das Doppelte zu haben in fünfzehn Jahren! Es genügt, wenn er gar nichts tut, wenn er seine gesamte Arbeitskraft dem sozialen Organismus entzieht und die anderen arbeiten lässt, dass er beleiht und die anderen arbeiten lässt. Wenn er mittlerweile nicht selber für den Verbrauch sorgt: das Geld hat es nicht nötig, sich abzunutzen. Dadurch wird aber sehr viel von dem, was dann empfunden wird als eine soziale, sagen wir Unrichtigkeit, erst in den sozialen Körper hineingebracht."

Aus: Rudolf Steiner, Nationalökonomischer Kurs, GA 340 ,Seite 164 f




Dienstag, 21. Oktober 2008

Der Bruder im Tier


„Das Leben bejahen, heißt alles Leben bejahen, sich selbst in Andacht eingliedern in alles brüderliche Dasein anderer Geschöpfe.“

M.Kyber,"Die drei Lichter der kleinen Veronika"

Zufällig stieß ich vor kurzem wieder auf den Autor Manfred Kyber. Sein besonderes Anliegen, unser Umgang mit den Tieren, gehört ja auch zu unseren Menschheitsaufgaben. Viele Texte von ihm findet man im Internet. Es folgt der Anfang eines Aufsatzes von ihm. Den vollen Text kann man dann unter dem Link am Ende erreichen:


Der Bruder im Tier

Von Manfred Kyber


"Um ein Geschöpf zu verstehen, muß man in ihm den Bruder sehn" - diese Worte habe ich meinen Tiergeschichten vorangestellt, und aus dieser Gesinnung heraus sind sie gestaltet.

Das Tiermärchen begreift weit eher die eigentliche Tierseele als die mehr oder weniger richtigen naturwissenschaftlichen Schilderungen, die doch immer nur die Außenseite erfassen. Man sieht zwar, wie das Tier lebt, welche Eigenheiten es aufweist und wie sich sein Verhältnis zu den anderen Tiergattungen bildet, aber man erkennt damit nicht den Bruder im Tier. Das Märchen sieht das Tier transparenter, es sieht in seine Seelenhaftigkeit und wenn es auch manchesmal die äußeren Fähigkeiten des Tieres steigert, so tut es das, um das uns Ähnliche und Verwandte, den Bruder klarer herauszustellen.

Zu dieser kindlichen, unmittelbaren Anschauungsweise muß die weltliche Kultur wieder mehr zurückfinden, sie darf nicht mehr das Tier als außenstehendes Rätsel betrachten und schildern, sondern sie muß sich eins fühlen mit ihm und mit allem Leben, in das alles, was ist, eingegliedert ist nicht nur in einer äußeren, sondern noch weit mehr in einer inneren Geltung. Jene Kette der Dinge, jene Brüderlichkeit des Jenseitigen und Diesseitigen, jene Einheit des Daseins muß wieder geschaut und geachtet werden, von der die indische Hochkultur so weisheitsvoll erfüllt war.

Gewiß gilt das in erster Linie für die höheren Tiere, die gleich uns Liebe und Freundschaft, Treue und Anhänglichkeit, Eltern- und Kindesliebe kennen. Aber auch vor dem kleinsten Käfer, bei dem wir diese Regungen nicht nachweisen können, müssen wir wieder jene Andacht vor allem Leben lernen, jene Achtung vor allem, was atmet, denn auch in ihm und in allem, was ist, lebt eine kleine Welt in der großen. Auch er wandert mühsam die Straße jenes gemeinsamen Daseins, die uns allen vorgezeichnet ist, auch er ist ein Bruder des gleichen Weges, ein Genosse verwandter Freuden und Leiden. All das, was uns die Naturwissenschaft lehrt, ist, mag es noch so interessant sein, ist äußere Beobachtung, nicht mehr. Die Innerlichkeit des Daseins bei Menschen, Tieren und Pflanzen und allem Leben erschließt sich keiner verstandesgemäßen Analyse, sie kann und will allein erahnt werden durch jene Liebe zu allem Sein, wie sie Franziskus von Assisi hatte. ....

Weiter der ganze Text: www.manfredkyber.de



Samstag, 11. Oktober 2008

Nationalökonomie

Angesichts der heutigen Vorgänge auf dem Finanzmarkt ist es empfehlenswert, sich wieder einmal den "Nationalökonomischen Kurs" von Rudolf Steiner vorzunehmen. Was man da findet, lässt erwarten, dass im Wirtschaftsbereich noch einiges zu tun ist.

Wenn Rudolf Steiner hier immer von "Natur" und von "Grund und Boden" spricht, so gilt das in eingeschränktem Maße auch für die auf dem Grund und Boden stehende Immobilie:


Wenn Kapital zu niedrigem Zins für den Kauf von Grund und Boden verliehen wird, dann wird dieser nicht billiger, sondern teuerer...

... In allen Ländern, in denen die Hypothekengesetzgebung dahin geht, dass sich das Kapital mit der Natur (Grund und Boden) verbinden kann, bekommen wir das Stauen des Kapitals...

Statt dass das Kapital verbraucht werde, ...das heißt ... verschwinde, entsteht eine wertbildende Bewegung, die dem volkswirtschaftlichen Prozess schädlich ist...eine der schlimmsten Stauungen im volkswirtschaftlichen Prozess ist diejenige, wo Kapital sich einfach mit der Natur verbindet. ... Je mehr Hypotheken auf etwas lasten, desto teuerer muss es dann bezahlt werden. Es wird fortwährend erhöht der Wert. Ja, ist denn das aber – die Höherwertigkeit von Grund und Boden – ist das eine Wirklichkeit? Es ist ja gar keine Wirklichkeit. .... der Grund und Boden als solcher werterhöht gedacht, ist ein Unding, ein völliges Unding ...(es) ist nicht ein wirklicher Wert, sondern ein Scheinwert. Und darauf kommt es an, dass man auch innerhalb des volkswirtschaftlichen Prozesses endlich begreifen lernt, was wirkliche Werte sind und was Scheinwerte sind.“



"Nationalökonomischer Kurs", Rudolf Steiner, Dornach 28.Juli 1922

GA 340 - S.72 ff


Freitag, 3. Oktober 2008

Großbritanniens ungeschriebene Verfassung

Es birgt immer etwas Problematisches in sich, wenn Verhaltensregeln, Ordnungen oder ähnliches schriftlich niedergelegt werden. Sie werden dann zu einem starren Korsett, das notwendigerweise auch in Fällen anzuwenden ist, wo es vielleicht gar nicht passt. Will man etwas schriftlich niederlegen, so müssen die Formulierungen immer in einer gewissen Allgemeinheit gehalten werden, damit sie nicht zum normativen Zwang werden. Auch sollte man mehr der gemeinsamen Gesinnung Ausdruck verleihen, als konkrete Handlungsanweisungen festlegen.

Legt man Wert auf schriftliche Niederlegungen für Gremien oder Gemeinschaften, so sollte man einfach nur beschreiben, was ist und was schon geschieht. Formuliert man etwas, was man theoretisch will oder fordert – was also noch nicht verwirklicht ist - , dann legt man sich eiserne Bandagen an. Wie sich die Dinge in der Zukunft entwickeln, das kann man vorher nicht wissen. Der schöpferische, menschliche Geist, wird im lebendigen Lebensprozess immer wieder neue Ideen entwickeln und diese verwirklichen wollen. Durch die vorherige Beschreibung und Festlegung entstehen einheitliche, vergangenheitsorientierte Systeme, die den Individuen ihren schriftlich verfassten Willen aufprägen.


In diesem Zusammenhang ist das Beispiel der britischen, nicht niedergeschriebenen „Verfassung“ interessant. Es folgen Zitate aus einem Interview mit dem ehemaligen Außenminister Sir Malcolm Rifkind in der Zeitschrift BRAND EINS vom 10/08, S.144 ff :


„...Wir haben... ungeschriebene Konventionen – oder nennen Sie es Gepflogenheiten. Dies sind allgemein akzeptierte Regeln, die eingehalten werden, obwohl sie nicht die Form von niedergeschriebenen Gesetzen haben...

....Damit unser System funktioniert, muss es einen Grundkonsens innerhalb der politischen Klasse geben, ein Ziel, über das sich alle einig sind.


....unsere Verfassung ist über Jahrhunderte entstanden. Es war nicht nötig, sie aufzuschreiben. Wir wissen genau, was unsere Verfassung ist: Es sind zahlreiche Regeln, die eingehalten werden müssen.


....Aber dafür ist unsere Verfassung flexibel und veränderbar.... Veränderung ist bei uns einfacher als in anderen Ländern. Und das liegt daran, dass wir kein so festes Korsett haben. ... Wenn es in Großbritannien einen Konsens darüber gibt, dass es an der Zeit ist, etwas zu verändern, dann tun wir das einfach. Auch wenn das lange Debatten mit sich bringen kann. Die müssen dann eben geführt werden. Aber in der Praxis ist das sehr simpel. ...


... Unser Unterhaus könnte an jedem Tag im Jahr das schottische Parlament...überstimmen. Aber in den vergangenen Jahren hat sich eine neue Regel durchgesetzt. Nämlich dass das Unterhaus die Entscheidungen der ... Regionalparlamente respektiert.... Und das ist kein Gesetz, sondern eine Gepflogenheit...


... Es ist Teil unserer Verfassung, dass der Premierminister, wenn er eine Vertrauensabstimmung verliert, zurücktreten muss. Das ist nirgendwo niedergeschrieben. ...


...Wir dürfen keine Regeln festzurren, die sich später nur sehr schwer wieder verändern lassen....


... Seit einigen Jahren ist es eine Gepflogenheit, dass bei grundlegenden Entscheidungen ... ein Referendum nötig ist. Das ist wiederum keine gesetzliche Bedingung, aber es ist ein Instrument, das immer öfter zur Anwendung kommt. ...


Was ist für Sie verfassungswidrig?
Dasselbe, was für Sie verfassungswidrig ist: Dinge, die gegen unsere Gesetze, Regeln und Gepflogenheiten verstoßen. ...