Freitag, 29. April 2011

Die METHODE

"Sie begreifen nicht, mit wem Sie es zu tun haben. Man wird ihnen vorwerfen, sich gegen die Methode zu wenden."
Mia schüttelte den Kopf und richtet einen Zeigefinger auf Rosentreters Kinn. "Sie reden wie ein Sechzehnjähriger. Die METHODE, das sind wir selbst. Sie, ich alle. Die METHODE ist die Vernunft. Der gesunde Menschenverstand. Ich wende mich nicht gegen die METHODE. ..."
Juli Zeh, Corpus Delicti - S.74f


Methoden, das sind Lehrmeinungen, Religionen, Parteien, Therapierichtungen, Theorien, Corporate Identities, alle festgefügten theoretischen oder praktischen Systeme usw. Alles, was den Menschen formen, bestimmen, erklären oder beeinflussen will. Solche Systeme stellen sich über den individuellen Menschen.

Etwas anderes ist es, wenn der Mensch über der Methode steht. Die Methode muss dem Menschen dienen. Der Mensch, muss dabei die Methode individuell umformen können und dürfen. Er wird daraus dann seine eigene Methode entwickeln. Das Abweichen von der Methode, von der Theorie, von der Wissenschaft wird zur Notwendigkeit, sonst wirkt die Methode, die Partei, die Lehrmeinung  diktatorisch.

Man kann sich in einer Methode schulen lassen. Dann aber wird man sie wie ein Nahrungsmittel verdauen. Verdauung heißt Umwandlung. Man spuckt hinterher nicht das Essen wie ungegessen wieder aus, sondern es wird zur Lebenskraft. So wird man am Kennenlernen einer neuen Methode, seine Persönlichkeit entwickeln. Aber man wird nie die Methode wieder so ausspucken, wie man sie gegessen hat. Das schmeckt den anderen nämlich immer ziemlich sauer; es stinkt ein wenig, wenn man erlebt, dass der Mensch beim Darstellen oder Ausüben einer Theorie, eines Programms, einer Philosophie oder einer Methode als Persönlichkeit hinter die Sache zurücktritt.

Es gibt nur eines, was heute die Welt voranbringt, das ist - wie Juli Zeh schreibt - die Vernunft, der gesunde Menschenverstand. Der Mensch selbst muss die Methode sein. Das eigene, geistesgegenwärtige Ich.