Sonntag, 4. Januar 2009

Impulse - Imre Makovecz


"Die Anthroposophie, die ich 1959 kennenlernte und die mir das organische Denken vermittelte, bestärkte meine Neugier für die theoretischen Kenntnisse und führte mich wie zu einer Quelle, zum Studium der traditionellen, volkstümlichen Kunst. Ich betrachtete mich nie als Nachfolger der nationalen romantischen Bewegung vom Anfang des Jahrhunderts, aber es faszinierte mich sehr, wie Mitglieder dieser Bewegung von Sprache und Zeichen der Vorfahren aus einer längst vergessenen Zeit, den Zeiten vor der Geschichte erzählten."

Schon am Ende seiner Studienzeit wurde Makovecz durch seinen Freund Tamäs Szabo‑Sipos auf das Werk Rudolf Steiners und seine 'soziale Dreigliederung' aufmerksam. Erst nach seinem Studienabschluss sah er das Goetheanum auf Abbildungen. Das weckte sein Interesse an der Architektur Rudolf Steiners. Durch die Auseinandersetzung mit ihr wurden ihm allmählich Aspekte der ungarischen Volkskunst verständlich: "Sie hat mit dem Leben zu tun und folgt nicht Konzepten. ( ... ) Mein Kontakt mit der Anthroposophie kam nicht auf einmal. Ich habe einige Bücher gelesen und habe mich mit einigen Mitgliedern dieser Bewegung getroffen. Meine Gedanken haben sich durch persönliche Beziehungen gebildet, früher wie heute. 1964, mit 29 Jahren, konnte ich meine erste Reise nach Westeuropa unternehmen, und zwar in die Schweiz, um das Goetheanum zu besuchen. Es war ein phantastischer Schock. Noch nie zuvor hatte ich von einem architektonischen Werk einen solchen Eindruck verspürt. Bei meiner Ankunft in Basel nahm ich die Straßenbahn nach Dornach und fand dort ein Zimmer gegenüber dem Bahnhof. Es war schon dunkel, und ich wusste nicht, wo das Goetheanum war. So verschob ich meinen Besuch trotz meiner Ungeduld auf den anderen Tag. Am nächsten Morgen schaute ich, während ich mich wusch, gemütlich aus dem Fenster. Es war Frühlingsanfang. Auf einem Hügel erblickte ich durch den Nebel einen monströsen Elefanten. Ich kann diese versteinerte Gestalt nicht anders nennen. Ich rannte wie ein Verrückter, um es von nahem zu sehen. Es übertraf alle meine Vorstellungen ‑ eine unvergessliche und unsterbliche Vision. Ich kannte das Goetheanum von Bildern, aber es in der Realität zu sehen, war ganz anders ..." Hier im Goetheanum sah Makovecz die eurythmische Aufführung von Shakespeares Sommernachtstraum. "Von Rudolf Steiner habe ich gelernt, dass man die Ideen und die Sprache in Bewegungen umsetzen kann, dass Gesten eine Bedeutung haben können. Zu jedem Ton gibt es eine präzise Geste", sagt Makovecz zu den von ihm veranstalteten Bewegungsexperimenten.

"Das Wesentliche des Steinerschen Impulses ist, dass man kein Nachahmer Steiners sein darf." Für die orthodoxe Anthroposophie in der Architektur oder für das Nachahmen hat Makovecz kein Verständnis. Einige frühe Bauten weisen leicht abgewinkelte Elemente auf, hier ist anthroposophischer Einfluss zu sehen, ... Schnell verschwanden aber solche äußerlichen Merkmale, die mit den gängigen Vorstellungen der anthroposophischen Architektur assoziiert wurden. Bedeutender ist der zentrale Raum, der erst richtig in der Csäkänyosi Csärda zum Ausdruck kommt. Der kuppelbedeckte Raum und die Verbindung zweier Kuppeln wie im Holzbau des ersten Goetheanums ist eine Herausforderung, die Makovecz im Projekt Institut für Waldorfpädagogik in Witten und im Kulturzentrum Szigetvär annahm. Er versteht die Anthroposophie ähnlich wie Joseph Beuys oder Rudi Dutschke als eine Unterstützung, das "zu tun, was ich ohnehin tun musste ... Ich habe nichts mit der Anthroposophie zu tun, aber mit Rudolf Steiner ..." Nicht seine Person zählt, sondern das, worauf er hinweist, auf "die Welt und den Weltinhalt".

(a.a.O. Seite 18)