Freitag, 13. Februar 2009

Lob der Selbstständigkeit


Im folgenden ein Artikel, der in der momentanen Weltsituation besondere Bedeutung hat.

Niemals seit dem Ende des II.Weltkriegs war ein so radikales Umdenken gefordert wie heute. Das wirtschaftliche System hat so keine großen Zukunftschancen mehr.
Die Politik mischt sich ein und hat im Grunde auch keine andere Denkart als die im Wirtschaftsbetrieb Verantwortlichen. Außer dass der Politiker eben etwas weniger Talent zum Wirtschaften hat - deswegen ist er ja auch Politiker geworden. Der Politiker meint aber, alles besser zu wissen.

Wohin das moderne Denken gehen muss, damit etwas Gedeihliches herauskommt, verdeutlicht dieser Artikel:


Essay: Lob der Selbstständigkeit - DIE WELT - WELT ONLINE

Lob der Selbstständigkeit

Von Wolf Lotter 12. Januar 2009, 01:32 Uhr

In der Finanzkrise rufen alle nach Regeln - sie kennen nichts anderes. Doch nicht "das System" ist schuld. Es kommt auf das Verhalten des Einzelnen an, seine Kreativität und seinen Mut

Zur Finanzkrise ist alles gesagt - bis auf das Wesentliche. An diesem Wesentlichen oder Grundsätzlichen mag kaum jemand rühren, denn es trifft allzu oft die eigene Existenz. Wer da ranfasst, stellt sich in der Regel selbst infrage. Spekulanten und Investmentbanker, die hinter dem Debakel stecken, haben eines mit den allermeisten übrigen Protagonisten der Krise gemein. Es war nicht ihr Geld, denn sie handelten als Angestellte. Dienstnehmer, liebe Freunde, wie du und ich, Leute, die in einer Hierarchie mit ihren ganzen hübschen Regeln das sogenannte Richtige taten - also nichts weiter, als die andern tun. Vom leitenden Angestellten, Manager heißt das, bis zum kleinen Gehilfen in der Kreissparkasse handelten alle, wie sie es gelernt hatten. Einer fängt an. Die anderen machen mit. Bis es kracht. Der klare Vorteil: Nicht Menschen haben die Krise verursacht, sondern das "System". Je braver die Soldaten, desto höher die Verluste. So einfach ist das.

Nun rufen alle nach neuen Regeln, natürlich zu den bereits bestehenden Gesetzen. Denken wir, nur versuchsweise, einmal ganz anders. Was, wenn nicht das System, sondern Menschen in Verantwortung gingen für die Entscheidungen, die sie treffen. Mit Hab und Gut dafür eintreten. Selbstständig sind also.

Wie bitte?

Selbstständigkeit ist ein Unwort in Zeiten, in denen sich die breite indolente Mehrheit der Handlungsbeschränkten mehr Regeln ausbittet. Damit montiert man die Fallstricke für morgen. Ja, können die es nicht besser? Doch, nur dann müssten sie einen Schritt wagen. Sie müssten kreativ sein. Mit anderen Worten: Sie müssten eine Idee haben. Wussten Sie, dass bereits heute Ideen wertvoller sind als Produkte? Dass damit weltweit mehr Geld umgesetzt wird - und sich das noch weiterentwickelt? Nur regieren eben die alten Herren des industriekapitalistischen Systems weiter. Sie haben keine Idee, was das sein könnte, ein System kreativ verändern. Denn dazu müssten sie den größten und wesentlichsten Schritt wagen: nicht nur sich selbst mehr Verantwortung, mehr Unternehmertum und damit auch Risiko für die eigenen Finanzen und Karrieren abverlangen. Sondern gleichsam auch anderen - die man heute noch "Mitarbeiter", "Angestellte", "Dienstnehmer" und "Verbraucher" nennt - mehr Freiräume in der täglichen Arbeit einräumen.

Bizarr ist, dass Europa 2009 das Jahr der Kreativität feiert, eine Kraft, die weniger Regeln und mehr Verantwortung braucht, während die verantwortlichen Politiker aus Eigennutz genau das Gegenteil fordern. Wie schön für Berufspolitiker, dass es eine Krise gibt - jetzt können die Vaterländer wieder gerettet werden. Der Teufel wird mit dem Beelzebub ausgetrieben.

Mit Kreativwirtschaft beschäftigt man sich indes nur ehrenhalber. Wissensgesellschaft, Innovationen, die Fähigkeit, statt Quantität mehr Qualität herzustellen (liebe Automobilindustrie!), bleiben Spielball für einige Verwirrte. Neumodisches Zeugs. Unberechenbar. In der Tat. Neumodisches Zeugs? Nein. Aufstieg und Fall von Kulturen waren immer der Fähigkeit zu Innovation und der Akzeptanz neuer Ideen geschuldet. Gesellschaften, die ideenfeindlich sind, die mit Kreativität nur die töpfernde Gattin assoziieren, haben verlernt, dass nur der Fortschritt, das Neue zu etwas führt. Uns ist der Preis - noch - zu hoch. Denn er heißt: Verantwortung übernehmen und gleichsam Verantwortung delegieren können.

Die allererste Studie über Kreativitätswirtschaft wurde in den USA zu Ende der 40er-Jahre durchgeführt. Der große Ökonom Fritz Machlup, dem wir auch die ersten Erkenntnisse zur Wissens- und Informationsgesellschaft verdanken, hat sie durchgeführt. Nicht mit Regisseuren, Schauspielern, Malern, Dichtern und Aktionskünstlern. Sondern mit Krankenschwestern. Machlup trennte nicht in "schöpferisch-intellektuelle" Menschen auf der einen und "Ausführende" auf der anderen Seite. Für Machlup bedeutet Kreativität selbstständiges Denken und Handeln, Entscheiden auf der Grundlage des eigenen Wissens. Machlup hat vor nun fast 60 Jahren festgestellt, was so vielen heute immer noch nicht in den Kopf will: Ja, es ist besser, bringt mehr Qualität, bringt mehr Leistung, bringt mehr Ergebnis für alle - und ist zudem ungleich befriedigender -, wenn Freiräume eröffnet werden. Bei Krankenschwestern und anderswo. Kreativarbeiter ist, wer anzuwenden versteht, was er kann. Der auf jede Situation individuell reagiert. Der sich sagt: neues Problem? Neue Lösung. Kein Schema F. Deshalb sind Selbstständige per se kreativer.

...Freiheit und Kreativität gehören zusammen, das kann man auch beim Mentor der Creative Economy, Richard Florida, nachlesen: "Kreativität ist ein Grundelement der menschlichen Existenz", schreibt er, "ein breit angelegter sozialer Prozess, der Zusammenarbeit erfordert. Sie wird stimuliert durch menschlichen Austausch und durch Netzwerke. Sie findet statt in tatsächlichen Gemeinschaften und an realen Orten." Die Kreativität ist das wirkliche Leben. Die schöpferische Idee ist die einzige Chance, einen Fehler nicht zu wiederholen. Und sie ist, in der praktischen Wirtschaft, die wichtigste Waffe gegen die Krise. Und was noch wichtiger ist: Selbstständig sein, Freiräume haben und aus diesen kreativ arbeiten, das ist ein Leben im Original. Keine Kopie. Das kostet Überwindung. Keine Frage.

Aber: Hat jemand eine bessere Idee?

Wolf Lotter ist Redakteur des Wirtschaftsmagazins "brand eins". Sein neues Buch "Die kreative Revolution" mit Beiträgen der führenden deutschsprachigen Creative-Economy-Vordenker erscheint diese Woche im Murmann Verlag Hamburg.