Das menschliche Ich ist ein ganz im Irdischen erlebbares Wesen und ist zugleich doch rein geistig. Jeder Mensch kann dies beim Blick auf sein Innerstes sofort nachvollziehen. Und das Studium dieses eigenen Ichs, des eigenen Menschenwesens, ist gewissermaßen die neue Haupterkenntnisaufgabe aller Menschen.
Die gesamte, moderne, abendländische Kultur ist eine Folge der christlichen Zivilisation. Sie hat aus sich heraus den Freiheitsgesichtspunkt entwickelt. Dieser Freiheitsimpuls breitete sich und breitet sich immer noch über die Welt aus.
Es ist nicht ausreichend, zu sagen, dass das Christentum versagt habe, weil es noch immer Streit und Krieg in der Welt gibt. Wohl hat es seine eigenen moralischen Ziele noch nicht erreicht, da sich diese Ziele eben nicht von oben herab verordnen lassen.
Aber es befindet sich auf dem Weg in diese Richtung, weil es dabei ist, ein erstes Ziel zu erreichen, das die notwendige Vorbedingung für das Erreichen weiterer Fähigkeiten der Menschen ist: Das Christentum führt die Menschen zur Freiheit.
Dieses können östliche Völker nicht verstehen, die sich zutiefst verletzt fühlen, von der offensichtlichen Unmoral, die durch die westlichen Völker über die Welt flutet. Sie gehen noch davon aus, dass es eine Moral gäbe, die man einer ganzen Nation auferlegen kann.
In Wirklichkeit kann aber moralisch nur der individuelle, freie Mensch sein, nicht die Gemeinschaft an erster Stelle. Die Gemeinschaft bekommt ihre moralische Färbung dann durch die einzelnen Individuen.
So muss die Menschheit zunächst den Freiheitsimpuls entwicklen, denn nur der freie Mensch kann sich seine moralischen Gesetze selbst auferlegen und diese verwirklichen.
Nur wenige Menschen sehen heute diese Zusammenhänge. Viele übernehmen östliche Anschauungen und negieren intellektuell, den westlichen Boden, der sie doch trägt. Im folgenden Interview beurteilt der ehemalige Buddhist Paul Williams recht treffend christliche und buddhistische Phänomene:
"Böse Überraschungen"
10. Februar 2009
Der Ex-Buddhist Paul Williams warnt vor einer Dalai-Lama-Euphorie
Vor 30 Jahren bekehrte sich der britische Tibetologieprofessor Paul Williams zum tibetischen Buddhismus. Er übersetzte Dalai-Lama-Bücher und wirkte als spiritueller Lehrer. Doch dann wurde er wieder Christ. Nun warnt er vor naiver Dalai-Lama-Euphorie.
WELT:
Der Dalai Lama erhält heute den Deutschen Medienpreis, laut Umfragen ist er beliebter als der Papst, und bei jeder Deutschlandreise wird er frenetisch gefeiert ...Raten Sie denn zur Beschäftigung mit dem Dalai Lama?
Williams:
Warum nicht? Er ist eine faszinierende Persönlichkeit. Ich empfehle aber nicht, zum tibetischen Buddhismus zu konvertieren. Davor warne ich, weil das böse Überraschungen und psychologische Probleme mit sich bringen könnte.
Als da wären?
Williams:
Gerade Ex-Christen dürften eines Tages bemerken, dass sie viel tiefer in der christlichen Tradition verwurzelt sind, als sie ahnten. Jedenfalls fragte ich mich manchmal, ob Gott vielleicht doch existiere - obwohl Buddhisten bekanntlich nicht an Gott glauben. Wenn ich alte Kathedralen besichtigte, spürte ich diese Sehnsucht, wieder dazuzugehören. Und wenn ich eine anrührende Passion von Bach hörte, ging mir auf, dass ich als Buddhist diese Musik nicht angemessen würdigen kann.
Warum nicht?
Williams:
Weil der Geist, aus dem Bach komponierte, feurige Jesus-Liebe war. Jesus ist für tibetische Buddhisten aber allenfalls ein sehr mittelmäßiger Erleuchteter. Außerdem billigt der tibetische Buddhismus schöner Musik keinen spirituellen Wert zu.
Anders das Christentum.
Williams:
Dem Papst zufolge ist Gott vollkommene Schönheit. Wer dem Schönen begegnet, bekommt einen Vorgeschmack auf Gott.
Aber der Weg zu diesem Verständnis war Ihnen verbaut.
Williams:
Bis ich katholisch wurde.
Kann man nicht beides sein - Christ und Buddhist?
Williams:
Das ist einer der großen Mythen unserer Zeit, der jede unangenehme Entscheidung überflüssig machen soll. Er stimmt aber nicht. Die spirituellen Wege sind unterschiedlich, ja unvereinbar.
Ist Jesus optimistischer als Buddha?
Williams:
Allerdings! Jesus verheißt zum Beispiel, dass geliebte Menschen sich nach dem Tod wiedersehen werden. Der Buddha hingegen lehrt, der Einzelne verschwände mit seinem Tod für immer. Denn unsere Wiedergeburten haben nichts mit der vorherigen Person gemein.
Der Dalai Lama ist sympathisch ...
Williams:
Sympathisch? Er ist faszinierend! Tiefgründig! Pazifistisch ...
... wie der tibetische Buddhismus?
Williams:
Das würde ich so nicht sagen. Die tibetische Geschichte ist wie die der meisten Völker voller Gewalt. Und der Pazifismus des Dalai Lama ist eher auf den Einfluss Gandhis zurückzuführen.
Quelle:
http://www.welt.de/welt_print/article3176933/Boese-Ueberraschungen.html